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Presse • 15.04.2006 • Werner Schröttner, The Gap

Die Radikalisierung des Christentums!

Die Osterwoche war ein herber Rückschlag für alle halbwegs säkularisierten Menschen im deutschsprachigen Raum. In Salzburg wurde eine Kreuzigungsperformance nach Gewaltdrohungen gegen die Akteure abgesagt, in Wien erwirkten ÖVP-Bezirksvertreterin Stenzel und die Erzdiözese ein polizeiliches Verbot einer symbolischen Kreuzigung im Rahmen einer Protestaktion der Tierschutzorganisation PETA und in Deutschland will die Kirche MTV wegen der geplanten Ausstrahlung der Cartoon-Serie "Popetown" verklagen.

Dass man in Salzburg experimenteller Kunst feindselig gegenübersteht, weiß man nicht erst seit dem Aufruhr rund um die "Arc de Triomphe"-Installation der Wiener Künstlergruppe Gelatin (mittlerweile in gelitin umbenannt). Der nackte, sich selbst anpinkelnde Koloss wurde noch vor Beginn der Salzburger Festspiele 2003 auf Anweisung der SPÖ entfernt. Eben jene SPÖ schwang auch in der Osterwoche die Subventionskeule, als es um die Durchführung der "Er-Lösung? Eine Glaubensprozession"-Performance der polnischen Künstlerin Dorota Nieznalska ging. Nieznalska wollte sich am Karfreitag am Gelände der ARGEkultur nackt an ein Kreuz binden lassen. Nach zahlreichen Anrufen, Drohbriefen und E-Mails, in denen sogar von Mord die Rede war, entschloss sich Marcus Hank, künstlerischer Leiter des Projekts, die Performance abzusagen. In einer Aussendung erklärte er, dass "die Sicherheit der Veranstaltung und Akteure nicht mehr gewährleistet" werden könne. Nicht nur die "Kronen Zeitung", auch der ÖVP-Gemeinderatsklub und die Erzdiözese Salzburg machten massiv Stimmung gegen das Kunstprojekt, wie Hank bedauerte. Der dadurch "entfachte Volkszorn" gipfelte darin, dass sogar die Kreuzigung der Darsteller gefordert und mit physischer Gewalt gedroht wurde, falls "die Polaken-Sau" nach Salzburg komme, so Hank weiter. Die Polizei untersagte die angemeldet Performance zwar nicht, lud aber Hank und Nieznalska zu einer Einvernahme wegen des Verstoßes gegen Paragraf 188 "Herabwürdigung religiöser Lehren" vor.

Polizeilich verboten hingegen wurde die symbolische Kreuzigung von Tiermasken tragenden PETA-Aktivisten, die am Karfreitag vor dem Stephansdom stattfinden hätte sollen. Sowohl ÖVP-Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel, als auch die Erzdiözese Wien legten Protest gegen die unter dem Motto "Wir leiden und sterben für Eure Ernährungssünden" stehende Aktion ein. Mit Erfolg, denn die Aktion der Tierschützer musste auf den Stock-im-Eisen-Platz verlegt werden. Die symbolische Kreuzigung durfte nicht stattfinden. Die Aktivisten konnten sich - unter Polizeiaufsicht - nur neben die Kreuze auf den Boden legen.

In Deutschland hingegen, sorgte in der Karwoche der für 3. Mai geplante Start der MTV-Cartoon-Serie Popetown für Aufregung. Den Anfang machte ein vom Werberat ausgesprochener Tadel gegen eine ganzseitige Anzeige für die Zeichentrickserie über einen "durchgeknallten" Papst. Die Anzeige zeigt einen lachenden Jesus im Fernsehsessel. Das Kreuz im Hintergrund ist leer. Massive Kritik kam schließlich von der katholischen und der evangelische Kirche, sowie von der CSU. Das Erzbistum München erwägt sogar rechtliche Schritte gegen die Werbung. Außerdem wird von Kirchenseite geprüft, wie man eine Ausstrahlung verhindern kann.
Auch die deutsche Medienaufsicht hat sich mittlerweile eingeschaltet. In einem Offenen Brief fordert sie MTV auf, auf die Ausstrahlung von "Popetown" zu verzichten. Die deutsche Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten ist nämlich besorgt, dass die Serie auf Kinder und Jugendliche entwicklungsbeeinträchtigend wirken und religiöse Gefühle verletzen könnte. Die ursprünglich für den britischen Sender BBC hergestellte Zeichentrickserie wurde in Großbritannien nach heftigen Protesten von Katholiken nie ausgestrahlt.

Nach all diesen Vorkommnissen stellen sich gleich mehrere Fragen: Kommt es - vor allem nach den in Salzburg ausgesprochenen Drohungen - zu einer Radikalisierung des Christentums? Müssen sich ungläubige und andersgläubige Mitbürger bald vor dem Volkszorn fürchten? Ist die Meinungsfreiheit in Sachen Religion in Gefahr? Steht auch in christlichen Staaten bald eine katholische oder evangelische "Scharia" ins Haus?

Die Lösung liegt eigentlich auf der Hand: Vielleicht sollte man auch in Österreich einfach das Konkordat aufkündigen und sich unter die wenigen laizistischen Staaten der Erde mischen. Die in beispielsweise Frankreich oder der Türkei vorgelebte Trennung von Kirche und Staat wäre zumindest ein erster Schritt in Richtung erweiterte Meinungsfreiheit.

Reaktionen auf „ER-Lösung“ in den Medien

© Werner Schröttner, The Gap

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