Presse • 12.04.2006 • Gregor Maria Hoff, DrehPunktKultur Eine notwendige Provokation? Gregor Maria Hoff, Professor für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, sprach gestern Dienstag (11.4.) bei der Diskussionsveranstaltung in der Katholischen Hochschulgemeinde Salzburg über die - inzwischen abgesagte - Performance "ER-Lösung? Eine Glaubensprozession". - "Noch vor der Salzburger ÖVP und SPÖ war der römische Politiker und Schriftsteller Cicero der Meinung, eine solche Szene dürfe ein ordentlicher römischer Bürger nicht sehen". Erste Überlegung: Was ist eine Provokation? Gemeinsam mit Ihnen wechsle ich die Straßenseite: Wir bemühen uns zur Franziskanerkirche und erwarten einen publikumsintensiven Auftrieb, in dessen Mitte ein nackter Mann durch die Salzburger Innenstadt bis vor den Dom getrieben wird. Als man ihn dort kreuzigt, kann er seine Exkremente nicht halten. Man hat ihn zur Schau gestellt und mit ihm das nackte Leben. Man zeigt sein Geschlecht, das während der Kreuzigung, bedingt durch die von präzisem Folterkalkül vorgesehenen Veränderungen des Blutkreislaufs, zwischenzeitlich eregiert sein muss. Der Schock über die nackten Tatsachen ist unausweichlich. Am 7. April des Jahres 30 ist eine Gruppe von Menschen mit einem solchen Drama konfrontiert. War es schon für einen Römer ein ungeheuerlicher Vorgang, so konnte es für einen Juden überhaupt keinen schlimmeren Tod geben. Wer am Kreuz hängt, ist von Gott verflucht (Dtn 21,23). Sein Anblick ist unerträglich. Es ergeben sich Fragen: Ist diese Vorstellung bereits eine Grenzüberschreitung? Welcher Art? Ich schlage vor, das Stationendrama "ER-Lösung" mit doppelt gebrochenem Blick zu sehen. Ich schlage vor, die Frage nach dem blasphemischen Eingriff der Kunst vorab auf der Ebene des "guten Geschmacks" zu regeln: Dieser Vorgang ist so schockierend, so widerlich, ästhetisch derart unerträglich, dass er Sitte und Anstand verletzt. Noch vor der Salzburger ÖVP und SPÖ war der römische Politiker und Schriftsteller Cicero der Meinung, eine solche Szene dürfe ein ordentlicher römischer Bürger nicht sehen (Pro Rabirio 16). 2. Überlegung: Die Bedeutung dieser Provokation Die Presseaussendung der Salzburger ÖVP empfiehlt: "Beispiellose Provokation absagen!" und fragt weiter: "Gibt es denn keine Grenzen mehr?" Reden wir also von Grenzüberschreitungen - von Grenzüberschreitungen Gottes, die im Licht der anstehenden liturgischen Feiern bereits theologische Titel einspielen: Exodus und Passah muss mithören, wer an theologischen Grenzbestimmungen interessiert ist. Das hat eine bedeutsame Konsequenz: Wenn man vor diesem Hintergrund dem ÖVP-Vorschlag folgen würde, ersparte man sich etwas. Man müsste etwas verschweigen, woran aus christlicher Sicht die Rede von Gott hängt. Für Paulus erschließt sich am Kreuz, wer Gott für uns ist. Der pharisäisch geschulte Theologe Saulus wusste, was das bedeutet: einen handfesten Skandal! Der Anspruch, ein Gekreuzigter sei der Messias, ist für ihn eine Blasphemie. Er beantwortet sie mit unnachgiebiger Gewalt. Und das ist nur zu verständlich: schließlich verunreinigt, noch einmal mit dem Buch Deuteronomium, ein Gekreuzigter das Land. Nach seinem Tod muss der Delinquent also ein zweites Mal eliminiert, entsorgt werden. Das gilt im Fall des liquidierten Nazareners Jeschua ben Joseph ganz besonders: Mit ihm muss getilgt werden, wofür er stand. 3. Überlegung: Der Bedeutungsraum der Provokation - das Kreuz als Inbegriff von Gewalt Mit diesem Vorgang wird etwas sichtbar, hier wird etwas Entscheidendes offenbar. Die Logik der Gewalt erscheint in Reinkultur. Das Geschehen am Kreuz markiert sie. Der nackte Körper des Verurteilten entblößt die Phantasien jener Gewalt, die uns Menschen so vielfältig umtreiben. Ein wesentlicher Aspekt dabei: Man muss dem verurteilten Täter die Macht seiner Tat aus der Hand nehmen und ihn in das Opfer verwandeln, das aus seiner machtvollen Tat eine Ohnmacht generiert. Genau damit bestätigt man aber die Gewalt nur ein weiteres Mal. Man gibt ihr Macht über sich. Das dient der Befriedigung der Rechtsempfindung und der Wiederherstellung der gewohnten Ordnung der Dinge. Damit bestätigt sich ein kulturanthropologisch kennzeichnender Eingriff: Im Zugriff absoluter Gewalt, also der totalen Verfügung über den Körper, der darum auch nackt sein muss, bestätigt sich das Leben selbst. Es ist freilich ein Leben, das in der nackten Angst vor dem Tod gelebt werden muss. Umso mehr ist es darauf angewiesen, in der Macht, den Tod zu geben, das eigene Leben zu entdecken. Das Kreuz ist in der antiken Welt ein signifikanter Bedeutungsraum solcher tödlichen Politiken des Lebens. Und dieses Kreuz hat eigene Gewaltgeschichten ausgelöst - immer wieder und gerade auch gegen Frauen. Das Kreuz hat auch in dieser Hinsicht Offenbarungscharakter - und der Perform.dance von Marcus Hank sucht ihn kritisch zu stellen. Er fragt zumal nach den weiblichen Opfern männlicher Gewalt und kann damit einen wichtigen Aspekt einer Passion benennen, deren Relevanz, theologisch gesprochen, immer auch darin besteht, dass sie am konkreten Leid und Unrecht der Welt nicht vorbeisieht. Cicero ist auf diesem Weg sicher kein zuständiger Regisseur für die Inszenierung der christlichen Karfreitagsliturgie. Wer aber hinsieht, muss schockiert sein. Mit Jesus von Nazareth wurde das nackte Leben getötet. Die gewählte Metapher ist dabei mehr als ein beliebiges Bild: Am Kreuz entblößt sich Gott - als Liebe über alle Versuchung zur Gewalt hinaus. Diese Entblößung antwortet auf eine andere Politik des Zeigens. Die Kreuzigung als Hinrichtungsform legt es darauf an, den Körper radikal zur Verfügung zu stellen. Der ganze Mensch wird hier aufgespannt, man macht ihn sichtbar, indem man die Verfügungsmacht über ihn unwiderruflich aushebt. Die Evangelien verzichten darauf, diese Folter im Einzelnen zu beschreiben - nicht weil sie wegsehen wollen, sondern weil jedem Menschen der Antike bekannt war, was hier geschah. Zugleich liegt damit eine eigene Bildregie vor, und sie ist entscheidend. Man darf sich nicht abwenden, im Gegenteil: Wer unter dem Kreuz aushält, dem gehen die Augen auf. Der Hauptmann des römischen Liquidierungskommandos macht diese Erfahrung: Sein Ecce homo erschließt die Erfahrung, dass sich Gott im Menschen manifestiert. Man muss hinsehen, weil man nur so über die eigene Versuchung zur Gewalt aufgeklärt werden kann. Erlöst wird sie, wo das Ja Gottes zum Leben sie überführt. 4. Überlegung: Der Ort der Provokation: Die theologische Radikalität einer Bildgebung Gottes im Zeichen des Kreuzes Von hierher stellen sich Fragen an den ER-Lösungs-Perform.dance von Marcus Hank. Eines möchte ich dabei vorab sehr deutlich sagen: Ich halte die Aktion von Hank für interessant, vielleicht sogar für notwendig - allerdings in einem theologisch modifizierten Sinn. Sie deckt etwas auf, nicht zuletzt als interaktiver Vorgang in der öffentlichen Rezeption. Das hängt damit zusammen, dass sie ein Problem benennt. Charakteristischerweise hängt es nicht so sehr an der Frage nach dem Austausch von männlichem und weiblichem Rollenträger, sondern vielmehr an der Provokation durch den nackten weiblichen Körper. Genau diese Konstruktion macht den theologischen Kommentar noch in anderer Hinsicht notwendig. Die Traditionskritik, die in Hanks Konzept begegnet, ist m. E. nämlich vorkritisch und Ausdruck eines affirmativen Kunstkonzepts - also glatt das Gegenteil des Gewollten. Das Problem liegt dabei in der formalen Aussage des Konzepts, weil es auf der Basis einer Identitätslogik arbeitet. Sie wechselt die Geschlechtsträger und -rollen, übersieht aber dabei, dass sie genau damit die Identitätspolitiken von Weiblichkeit und Männlichkeit wiederholt und also ein zweites Mal festlegt. Sie erlaubten es ja gerade immer wieder, das Weibliche dem Männlichen ein- oder unterzuordnen. Der ästhetisch betriebene Austausch schafft also keine Umstellung der gegebenen Verhältnisse, sondern zeigt sie nur im Umkehrlicht, das die alte Ordnung der Dinge als gültig voraussetzt. Das Gegebene wird hier im Versuch der Kritik beglaubigt. Diese Affirmation dokumentiert sich in der Darstellung des schönen Körpers, der eben jene Politiken des Begehrens nicht zu durchbrechen vermag, die klassische Rollenzuschreibungen vorsehen und marktförmig auflegen. Man steht vor klischierten Zuschreibungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, wie sie in der ungebrochenen Ästhetisierung des Plakats auftreten: Hier findet sich kein Bruch des schönen Scheins. Die notwendige Provokation, die die Zurichtungen des nackten Lebens aufdecken müsste, leistet vor allem eins nicht: Sie kann den Differenzraum einer radikalen Inversion allen Sprechens von Gott im Zeichen des Kreuzes nicht zum Ausdruck bringen. Was fehlt: Dass hier gerade jene Logik der Gewalt durchbrochen wird, die im Zugriff auf das nackte Leben liegt. Am Kreuz wird sie mit einer Lebensmacht Gottes konfrontiert, die den nackten Menschen, also den Menschen wie er geschaffen ist, will und sucht. Es ist diese entscheidende Dimension, die mindestens die begleitenden Texte Hanks und die Anlage seiner Inszenierung dadurch ausblenden, dass sie das Opfer zum ideologischen Relikt stilisieren. Die Kommentare bedienen dabei ihrerseits einen Opfermechanismus. So entdeckt Hank "Formen moderner Inquisition", die europäisch abspiegeln sollen, was "islamistische Ausschreitungen" vorbereiteten. Zugleich wird die "vorauseilende Kreuzigung" unter den Ideologieverdacht eines Kadavergehorsams gestellt, der immer schon Züge falscher Selbsterniedrigung besaß. Die allzu glatte Zuordnung der Freund-Feind-Verhältnisse macht genauso Opfer wie die genannte Unterstellung, die dem Geschehen vom 7.4.30 Gewalt antut. Das läuft auf eine ästhetische Verharmlosung heraus, die unter der Voraussetzung antritt, hier habe es sich ein mit allem einverstandenes Opfer am Kreuz bequem gemacht: Der vorauseilende Gehorsam kostet freilich nicht nur das Leben, sondern tödliche Angst und schließt die Verlassenheit eines Menschen ein, dem sein Gott zu entgleiten droht: Eli, Eli lama sabachtani? Hanks Kommentar wirkt hier mit der suggestiven Gewalt zynischer Zurichtung der Verhältnisse. 5. Überlegung: Eine notwendige Provokation Dabei macht Hanks Aktion auf etwas Wichtiges aufmerksam: auf den Mechanismus einer gleichfalls vorkritischen Kritik im Hinweis auf eine vermeintliche Blasphemie. Auch sie macht Opfer, weil sie etwas ungesagt bleiben lassen will. Sie weicht nämlich dem Problem aus, das Hank benennt: dass Frauen allzu oft Opfer männlicher Gewalt wurden und werden - und dass sich die Frage stellt, ob nicht am Kreuz noch einmal ein Sieg der Männlichkeit gefeiert wird. An diesem neuralgischen Punkt blendet nun Hank wiederum etwas aus - und das ist entscheidend: Im gekreuzigten Corpus erscheint das nackte Leben selbst, nämlich im Zugriff fremder Gewalten, die sich - nicht zuletzt im ästhetisch befehligten Blick der Zuschauer - seiner bemächtigen. Das Kreuz wird damit zu einem exemplarischen Ort. An ihm wird offenbar, was Gewalt des Menschen gegen Menschen bedeutet. In diesem Sinne ist der Mann am Kreuz ein Ort, der die Geschlechterdifferenz nicht negiert: sein Geschlecht wird benannt. Aber diese Differenz wird überschritten, wo sie sich unheilvoll auswirkt. Am Kreuz wird jene Logik der Gewalt durchbrochen, die feministischer Einspruch gegen die patriarchale Bemächtigung des Gottesbezugs aufdeckt. Der Saulus, der zum Paulus wurde, kann von der Gewalt erst lassen, als er im Kreuz einer Liebe begegnet, die Gewalt nicht mehr mit Gegengewalt beantworten muss. Wer sich nun gegen eine vermeintliche Blasphemie theologisch richtet, hat ein Problem. Schon der historische Vorgang ging weiter, als Hanks Inszenierung es zeigt und sich auch theologisch nur träumen lässt. Das Kreuz zerstört nämlich - symbolisch mit dem zerreißenden Tempelvorhang - die gegebene Ordnung der Dinge, auch die etablierten Gottesbilder. Das nackte Leben des gemarterten Menschen am Kreuz bestimmt den Bildwert aller Gottesrede fortan. Gerade feministische Kritik kann dabei herausarbeiten, dass ein entscheidender Differenzraum zwischen dem Geschlecht des Erlösers und seiner Bedeutung besteht. In diesem Zusammenhang ist ein ästhetischer Eingriff der klassischen christlichen Kreuzesdarstellungen aufschlussreich. Jesus wird niemals ganz nackt gezeigt. Beim verdeckten Geschlecht des Erlösers handelt es sich zunächst um ein Schammuster, das freilich einen kritischen Gedanken vorbereitet: Man darf das Geschlecht nicht übergehen, aber zugleich ist nicht das Geschlecht des Erlösers von entscheidender Bedeutung. Nicht die Geschlechterdifferenz wird also mitgekreuzigt, wohl aber die Fixierung auf eine sexuelle Identität im Sinne eines Herrschaftsdiskurses, insofern er gewaltförmig ist. Dieser Diskurs der Gewalt wird nicht verschwiegen, sondern am Kreuz dem Tod überantwortet. Eben das macht sprachfähig, und zwar gerade die Frauen als erste Auferstehungszeuginnen. Angesichts der Versuchung zu einer patriarchalisch eingeebneten Rede von Gott bestehen die Evangelien auf "blasphemischer" Gotteskunst - schließlich stand und steht man hier vor einer Grenzüberschreitung Gottes, die es für Frauen und Männer in sich hat. Genau so kann sie erlösend sein. Reaktionen auf „ER-Lösung“ in den Medien „Keine nackte Frau am Kreuz“ (DrehPunktKultur, 9.4.2006) Alltag am Karfreitag ist größere Provokation (ORF Salzburg, 10.4.2006) Erlösung? (fm4, 11.4.2006) Erlösung wird abgesagt (DrehPunktKultur, 11.4.2006) Auf zum Kripperlschauen! (DrehPunktKultur, 11.4.2006) Heiße Zensurdebatte um „gekreuzigte Frau“ (Der Standard, 11.4.2006) Prozession mit nackter Frau abgesagt (Die Presse, 12.4.2006) Zuerst denken, dann reden (DrehPunktKultur, 12.4.2006) Kulturschaffende und die Parteien (DrehPunktKultur, 12.4.2006) Eine notwendige Provokation? (DrehPunktKultur, 12.4.2006) „Glaubensprozession“ sorgt für Streit (Spiegel-Online, 12.4.2006) Die Macht im Kreuz (Salzburger Nachrichten, 13.4.2006) Statt ER-Lösung vom Opfer Erlösung durch ein Opfer (DrehPunktKultur, 13.4.2006) Die Radikalisierung des Christentums! (The Gap, 15.4.2006) © Gregor Maria Hoff, DrehPunktKultur WWW DrehPunktKultur