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Presse • 13.04.2006 • Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten

Die Macht im Kreuz

Was ist Provokation? Was ist Erlösung? Wer hat die Macht über das Kreuz? Am Dienstag wurden theologische Aspekte der Performance "ER-Lösung" diskutiert.

"Starke Kunst, schwache Theologie": Kurz und prägnant gab Hans-Joachim Sander, Dekan der Theologischen Fakultät der Uni Salzburg und Professor für Dogmatik, theologisch Auskunft über die Performance "ER-Lösung". Am Karfreitag hätte das Stationendrama, inszeniert vom künstlerischen Leiter der ARGEkultur Marcus Hank, durch die Salzburger Altstadt führen sollen. Der Kunst-Kreuzweg - unter anderem wäre die polnische Künstlerin Dorota Nieznalska auf einem Kreuz getragen worden - findet nach Drohungen sowie halbwahren und diffamierenden Medienberichten nicht statt (die SN berichteten). Statt fand am Dienstagabend eine Podiumsdiskussion.

Die Debatte streifte nur am Rande die brennend aktuelle Problematik von Rede-, Kunst- und Religionsfreiheit, die sich auf Grund der wenigen Stunden zuvor erfolgten Absage aufgedrängt hätten. Dazu war die Diskussion, veranstaltet von Katholischer Hochschülerschaft und ARGEkultur, aber nicht gedacht. Und so erfüllte sie - auf hohem Niveau - auch ihren ursprünglichen Zweck: Im Vorfeld einer umstrittenen Kunstaktion sollte über deren Gehalt und Sinn geredet werden.

Eine "ER-Lösung" wie Hank sie meine, sei aus theologischer Sicht unmöglich, sagte Sander, der "die Empörung nicht verwunderlich" fand und auch "protestiere". Er halte die Absage für gut, weil aus theologischer Sicht "unmögliche Verwechslungen" vorlägen. Unter anderem sei Hank von "der Utopie einer opferfreien Welt" ausgegangen. Die Menschheit aber sei "immer weniger in der Lage, auf Opfer zu verzichten".

Hank wollte mit seiner Performance fragen: "Wem gehört das Kreuz? Wer sind heute die Opfer?" Dabei gehe es vor allem darum, aktuelle Machtstrukturen zu hinterfragen und auch die Rolle der Frau als Opfer zu beleuchten. "Wenn jemand eine Schokolade in Kreuzform verkauft und ich Jesus lutschen kann, dann ist das okay, weil Geschäft gemacht wird. Wenn wir das Symbol hinterfragen, beginnt eine moderne Hexenjagd."

"Sie, ein Mann, haben das ja inszeniert und die Künstlerin besetzt ja nur eine Stelle. Somit ist sie kein Opfer mehr, sondern ein Model", sagte Fundamentaltheologe Gregor Hoff. Gerade in diesem Punkt aber sieht Hank den Erfolg seiner Arbeit. Eben weil die Künstlerin im Vorfeld massiv diffamiert worden sei, sei sie Opfer geworden und die Performance habe damit funktioniert.

Barbara Wally, Leiterin der Internationalen Sommerakademie, wies auf den Kontext hin, in dem die Arbeiten von Nieznalska zu sehen seien. Die Künstlerin wuchs im Polen der 80er Jahre auf. Damals füllte die katholische Kirche das Machtvakuum, das die schwindende Bedeutung des Kommunismus hinterließ. Da es "keine Religion mit einer ähnlichen Gewaltsprache" gäbe, sei es - auch in Anbetracht anhaltender Unterdrückung der Frau - nur konsequent, dass Nieznalska "den weiblichen Körper als Schlachfeld der Diskussion einsetzt".

"Provokation? Das war die Kreuzigung Jesu" Wally kritisierte die Absage von "ER-Lösung". Kunst im öffentlichen Raum leide immer unter Druck. "Dem darf man nie nachgeben." Es gäbe " einen sozialen Kontext zu verteidigen, der hart erkämpft wurde". Es könnten auch "unqualifizierte Vorwürfe erhoben werden, denn die Meinungsfreiheit kann religiöse Gefühle nicht verletzten". Allerdings setze das "einen geistigen Prozess voraus, der anstrengend ist". Seit 27 Jahren arbeitet Wally in Salzburg, wo versucht werde, "jedes anspruchsvolle Projekt im Vorfeld niederzuschlagen".

Hank will die Absage der Performance auch nicht als deren Ende verstanden wissen: "Wir werden diese Arbeit und die Diskussion weiterführen." Dafür ist auch Hoff, denn auch wenn die Performance "aus theologischer Sicht nicht funktioniert", hält er die Auseinandersetzung für "spannend und wichtig". Auch könne er in diesem Zusammenhang mit dem Wort "Provokation" wenig anfangen. Die wirkliche Provokation, ein "widerlicher Vorgang gegen Sitte und Anstand", habe im Jahr 30 stattgefunden, als Jesus gekreuzigt wurde.

Reaktionen auf „ER-Lösung“ in den Medien

© Bernhard Flieher, Salzburger Nachrichten

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