JAHRESPROGRAMM 2021
ALLES BLEIBT ANDERS
In den vergangenen Jahren haben wir an dieser Stelle von Komplexität und deren lustvoller Vermittlung gesprochen. Es ging um unsere Produktions-, Veranstaltungs- und Netzwerktätigkeit; Kuration, Vermittlung, Diskursivierung, Internationalität, Dezentralität, Digitalität und Diversität waren wichtige Schlagwörter.
Man möchte meinen, dass diese Prinzipien und Tätigkeitsbereiche mit der Corona-Krise nun in den Hintergrund getreten sind. Derzeit scheint eher die Stunde der behördlichen Auflagen und gesundheitspolitischen Vorgaben zu schlagen – wenn denn überhaupt veranstaltet werden darf (rund 170 Veranstaltungen mussten 2020 abgesagt oder verschoben werden). Juristische, medizinische, hygienische und schlussendlich betriebswirtschaftliche Kriterien stehen im Vordergrund, wenn es darum geht die ARGEkultur als wirtschaftlich solides Kulturunternehmen zu erhalten. Dabei lieber erst einmal auf Nummer sicher gehen, oder?
Als ganzjährig agierendes Mehrspartenhaus mit starker regionaler Anbindung und einem aktiven gesellschaftspolitischem Selbstverständnis ist die ARGEkultur aber gleichzeitig ein offener Ort, den es beständig und gerade jetzt – in Zeiten der Krise – zu erhalten und weiterzuentwickeln gilt.
Die derzeitige Situation als Chance zu bezeichnen, erscheint uns als zynisch – gegenüber den Erkrankten und Todesopfern der Pandemie, nicht zuletzt aber auch gegenüber vielen unserer freien Mitarbeiter*innen, Künstler*innen und Mitunternehmen, die mitunter viel härter von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen waren oder noch sind.
Gleichzeitig haben wir die letzten Monate genutzt und Maßnahmen ergriffen, mit deren Hilfe die ARGEkultur als wirtschaftlich erfolgreicher und offener Ort weiterhin diejenige Rolle im Salzburger und österreichischen Kulturleben spielen kann, in der wir sie seit jeher sehen: als Ort thematischer und formaler Vielfalt, als Ort des Dialogs und Austauschs, der kritisch begleiteten Verhandlung von Gesellschaft und Miteinander.
Zum Beispiel hat die Corona-Krise einen beträchtlichen Digitalisierungsschub ausgelöst: Die meisten Veranstaltungen werden ab 2021 mit einem eigens dafür entwickelten Algorithmus-basierten und Sitzplatz-genauem Ticketing-System verkauft. Mit diesem Schritt können wir – so es denn erlaubt ist – z.B. die Kapazitäten im Saal von im Herbst max. 125 auf bis zu 200 Sitzplätze (unter Einhaltung aller bisherigen COVID-19-Auflagen) erhöhen. – Gleichzeitig haben wir in die technische Infrastruktur und entsprechende Ticketing-Tools investiert, um Veranstaltungen in Zukunft als bezahlbares Streaming anbieten zu können. Und dies nicht nur als Back-up für einen erneuten, vierten, fünften Lockdown, sondern als Erweiterung unseres Angebots. Unser Testlauf dazu war das OPEN MIND Festival 2020, das als rein digitale Ausgabe vollständig gestreamt wurde – und dies eben nicht (durchgehend) kostenlos, beispielsweise auf den einschlägigen social-media-Plattformen, sondern als niederschwelliges Bezahlangebot auf der Website der ARGEkultur; und das eine wesentlich höhere Reichweite erzielt hat, als ein analoges Festival unter Corona-Bedingungen in der Lage zu erzielen gewesen wäre.
Das Streaming-Angebot ermöglicht weiterhin breite kulturelle Teilhabe an den Produktionen und Veranstaltungen der ARGEkultur. Dieser Maxime folgend, gibt es auch 2021 keine Erhöhung der Ticketpreise, keine Änderungen an unser breiten Ermäßigungsstruktur, weiterhin viele Veranstaltungen bei freiem Eintritt oder eine Fortführung der Aktion ‚Hunger auf Kunst und Kultur’.
Auf der Ebene des Programms kommt uns nun zu Gute, dass wir schon in den letzten Jahren auf Aspekte wie Digitalität und Dezentralität gesetzt haben.
So führen wir einerseits unser Chatbot-Langzeitprojekt, den argeBOT, fort, das schon 2020 in den digitalen Raum übersiedelt ist. Und koproduzieren Projekte im öffentlichen Raum, außerhalb der Räumlichkeiten der ARGEkultur – in 2021 z.B. das partizipative Filmprojekt EXIT GHOST von irreality.tv.
Und schließlich antworten auch die von uns koproduzierten installativen Projekte – wie der Escape Room BORDERGRID von gold extra (Juni) oder die performativen Installationen UNTAMED COSY CARE von Up.|Lisa Hinterreithner (September) und STARWASH – WIR PFLEGEN ZU GLÄNZEN von Carmen Schwarz und Yvonne Schäfer (Dezember) – künstlerisch auf die derzeitigen COVID-19-Auflagen, mit künstlerisch intendierter, radikaler Zuschauer*innen-Beschränkung oder den Mitteln des immersiven Gamings.
Dass konstante Veränderung – und wir werden ja sehen, inwieweit sich das hier vorgestellte Programm noch konstant verändern muss – in der ARGEkultur eine lange Tradition hat, lässt sich übrigens in keinem anderen Jahr deutlicher reflektieren als im Jahr 2021. Die ARGEkultur – bzw. ihre Vorgängerin, die ARGE Rainberg – wird 40 Jahre alt. Im April 1981 formierte sich beim ersten Salzburger Jugend- und Kulturgespräch im ‚Das Kino’ jene Initiative, deren öffentlichkeitswirksames Auftreten, deren kreativer Protest, deren beharrlicher kulturpolitischer Kampf für eine autonome Kunst- und Kultureinrichtung für die Salzburger freien Szenen erst zum Kulturgelände Nonntal und schließlich zur heutigen ARGEkultur geführt hat. Eine Geschichte der Institutionalisierung, der Professionalisierung, nicht ohne hart geführte Konflikte, Auseinandersetzungen und Exklusionen.
Diese Geschichte – mehrfach aufgearbeitet, z.B. filmisch oder wissenschaftlich – werden wir 2021 würdigen – und dennoch den Blick vor allem nach vorne richten, auf die gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben- und Problemfelder von freien Kunst- und Kultureinrichtungen. Der Verein ARGEkultur plant dazu eine Buchpublikation – DON’T TELL - SHOW! in Kooperation mit dem Müry Salzmann Verlag – und eine Reihe von Veranstaltungen, die das Programm der ARGEkultur ganzjährig begleiten, reflektieren und mit Gedankenimpulsen anreichern werden. Und auch der argeBOT wird mitmischen ...
Kontinuität in der Veränderung, in allen Bereichen der ARGEkultur. Darauf können Sie auch 2021 zählen. – ALLES BLEIBT ANDERS. Damals, jetzt und dann.
Ihr Sebastian Linz