Gefühle getanzt, gesungen und gespielt
"L'ultimo tango di Madame Ivonne". Drei musikalische Ebenen, alle Rollen doppelt besetzt: Ein musikalisches Highlight von Fausto Tuscano hatte am Donnerstag (8.11.) in der ARGEkultur Premiere.
Fausto Tuscano, der Komponist, behauptet er hätte "nur" vorhandenes (Noten-) Material verwendet und zusammengesetzt, eine kokette Beschreibung seiner Tätigkeit. Tatsächlich war die Handschrift des Künstlers, dessen Wurzeln im italienischen Assisi liegen, immer deutlich zu spüren und zu hören.
Die Architektur der Oper ist auf drei Ebenen aufgebaut: dem Gesang, den gesprochenen Passagen und den Tanzszenen. (Madame Ivonne / Laura Nicorescu, Sopran; der Argentinier / Enrique Adrados, Tenor; die Pianistin / Öykü Sensöz, Sopran; der Schuhputzer / Fernando Araujo, Bariton; und der Poet / David Steffens, Bass)
Die Hauptrollen der Sängerinnen und Sänger waren doppelt besetzt: Jeder der Sänger hatte ein alter ego, einen Tänzer, eine Tänzerin, die gleichzeitig oder, seltener, isoliert spielten. Eine äußerst spannende Anordnung, war es so möglich, die gesungenen Inhalte zu unterstreichen oder zu konterkarieren: Ein Wechselspiel zwischen Innenleben und äußerem Schein oder zwischen Traum und Wirklichkeit entstand.
Der Choreographie von Matthias Beutler, der als Schuhputzer auch eine Tanzrolle hatte, gelingt es hervorragend, Gefühle zu vermitteln, zu verstärken, Gefühle zu denen Sänger alleine gar nicht in der Lage wären. Und der Tango ist nun einmal das geeignete Ausdrucksmittel um Aggression, Gleichgültigkeit oder Liebe zu vermitteln. Eine meisterhafte Performance der tanzenden "Doppelgänger" - Solange Chapperon, Gonzalo Orihuela, und Chechu Garcia. Die Künstler sind Argentinier und verfügen alle über eine Ballettausbildung. Sie sind herausragende Tänzer der aktuellen Tangoszene weltweit, wie der mittanzende Choreograph Matthias Beutler erklärt.
Die Geschichte der Schneiderin Madame Ivonne ist eine tragisch endende Liebesgeschichte zwischen ihr und dem Argentinier. Diese Charakteristik wird aber der eigentlichen Tiefe und Vielschichtigkeit der Handlung nicht gerecht. Die Pianistin, der Poet und der Schuhputzer schaffen jene Situationen, die die dramatische Entwicklung der Madame Ivonne beschreiben. Der Tango ist und war ein Ausdrucksmittel mit subversiver Kraft. Von jeher war der Tango gefährlich, da er in seinen Texten sozialkritisch und von der Stimmung her melancholisch war. Aber vor Allem ist er auch heute noch populär. Tangos erzählen meistens eine Liebesgeschichte im Umfeld sozialen Unbehagens und stellen damit eine Verbindung zwischen Sprache, Musik und Gesang her.
Die Liebesgeschichte beginnt in Paris (gesprochen und gesungen auf Französisch) und endet in Buenos Aires auf Spanisch. Die Sprache folgt somit den Orten der Schauplätze und definiert diese. Das Bühnenbild (Anna MAS) ist auf einen schwarzen Vorhang reduziert, der sich nur ein einziges Mal öffnet, um als Schattenspiel in einem Fenster die Liebeszene zwischen Ivonne und dem Argentinier zu zeigen. Requisiten deuten Handlungsorte und Situationen an. Mit sparsamsten Mitteln werden Straßen-, Hafen- und Lokalszenen angedeutet.
Das Libretto stammt von Raffaela Passiatore, die die Geschichte der französischen Schneiderin sehr fantasievoll vervollständigt und ergänzt hat. Der Regisseur Vittorio Capotorto schafft es durch intelligente Führung der Personen und eine hervorragende Lichtregie (Hubert Schwaiger) Orte zu definieren und auch eher abstrakte Situationen mit metaphysischen Inhalten zu vermitteln, wie zum Beispiel durch den von Onúr Abaci (Kontratenor) verkörperten Mond.
Es gelingt dem Komponisten Fausto Tuscano meisterhaft zu den drei Ebenen Gesang, Sprache und Tanz noch weitere drei Ebenen hör- und spürbar zu machen: Klassische Arien bei denen Melodie und Rhythmus der "Follia" auftauchen, die auf der Bühne gespielte "Livemusik" (Gesang Oscar Ovejero, Gitarre Federico Diaz, Bandoneon Vicenzo Abbracciante) und seine eigene musikalische Handschrift. Die klassischen Passagen wirken neben Tuscanos zeitgenössischer Ausdrucksform manchmal geradezu unangenehm banal.
© Thomas Gruber, DrehPunktKultur
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