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SIE KRIECHEN AM BODEN, ROLLEN UND ROBBEN
Von Menschen, Tieren und anderen Kreaturen

Früher Wurm

Sebastian Günnel

Der Regen lässt sich nicht vermeiden und doch gehe ich zu Fuß. In eine wie eingefrorene Kurve eingespannt, bietet mir die Straße einen dünnen Rand aus Schotter und einstmals bunten Sprenkeln Verpackung, auf denen ich gehen kann. Immerhin: die Tropfen drücken das Gras, was mir Hoffnung macht, in dem Streifen an der Straße entlangstapfen zu können. Eingedenk der gut zwei verregneten Stunden Fußweg, die ich bis Salzburg noch zu bewältigen habe, sorge ich mich, zu spät anzukommen und damit am Ende umsonst gegangen zu sein.

In der Rinne, an der der Beton in Straßenteer mündet, hätte ich mehr vermutet als nur einige Fingerbreit und Fingerlang Moos. Derart flach, bietet die Rinne wohl nicht genug Schutz vor den Schritten, die die Wartenden hinein in die Busse zurücklegen. Rechter Hand, abseits der Konstellation Bank-Busfahrplan, sprießen einige kleine Dinge mehr aus der Rinne. Das Leben als Wasserfall, gelingt es mir kurz, mir die benetzte Weltoberfläche als derart eins vorzustellen, dass mein Warteort, mein Ziel und auch dort, wo ich diese Zeilen schreibe, an einem Ort sind, solange nur die Nässe durchgehend darauf gespannt bleibt wie ein Tropfen auf drei Fliegen.

Die gespiegelte Straße: Da gibt es das, was erkannt werden kann und dann das, was in den Details noch unergründeter Verbindungen fein in einer immateriellen Vorahnung schlummert, wartet. Es regnet wirklich stark, also gehe ich gesenkten Blickes an einer Reihe von Bäumen entlang, die ich für Laubbäume halte, aber nicht die Muße dafür finde, dies zu überprüfen. Ich will sie nicht so präsent werden lassen, dass sie meine mir lieb gewordene vermutete Vorahnung verdrängen können.

Einer in fremde Kleidung verhüllten Erinnerung folgend, gelange ich zu den fabelhaften Monstern, die auf die alten Ozeane gemalt worden sind, als dürfte nicht irgendwo auch einmal einfach nichts sein. Hier zumindest ist die Fantasie der alten Kartographen der Tatsache vorausgeeilt und hat – in der Sache richtig, in den Details falsch – dort, wo nichts ist, bereits etwas erkannt. Klar nämlich, dass es für die Natur ohne Fabelwesen eng wird.

Eins verglichen mit dem Anderen, zwischen beidem eine Membran: Beschreiben kann sein algebraisches Skelett nicht verstecken. Ein ganz und gar diesseitiges Verb, zum Beispiel Drübersteigen, bedeutet, dass ich einfach vom Davor zum Dahinter gelangen kann. Das mir Eigene am Drüberstieg sind die vielen Umgebungen, in denen ich es gebraucht habe: Da schwingt eine Gefahr mit, Unsicherheit, etwas ändert sich, ein Ärmel kann hängenbleiben und aufreißen, ich kann auch zu klein dafür gewesen sein oder schlicht Freude verspüren, wenn ich drübersteigen wieder einmal geschafft habe. Diese mir eigenen Nebenklänge sind meine hauseigene Natur, in die ich schauen kann wie eine Sonne in die Lochkamera.

In nassfüßiger Ähnmichkeit steige ich indes nur kaum über, sondern durch das Gras neben einer endlos langen Straße, eine Pointe auf Abwegen.

Die kalte Luft, die sich in die Hohlräume zwischen Kleidung und Haut die Waden hinauf zu drängen versucht und sich dabei so schwer tut, dass sie schnaufhafte Geräusche ausstößt: ein klarer Moment einfachen Ungefährs. Jenseits der Schulmauer liegen verstreut einige Maulwurfhügel. Ich suche mein Notizbuch, obwohl ich noch nicht weiß, was ich agrad darüb --

Im Moment zu sein mit etwas bedeutet, es irreparabel zu verändern, da es durch den Akt der Erfahrung aus dem unerfahren Unbekannten, dem Nebenanjenseits, geholt wird. Obgleich für andere zuerst unauffällig, ist dieser Akt ein urbarmachendes Prägen. Alles, was nicht wahrgenommen wird, darf ungestört seiner Wege gehen, in die Vorstellung von etwas geholt werden setzt es hingegen dem Risiko aus, als Ressource behandelt zu werden.

–- Calvin, der Schweizer Gelehrte, versuchte die Werdung von Wasser als Wandel von allumhüllendem Nebel in stete Flüssigkeit zu begreifen, und als wüsste sie das, bricht die Sonne durch den Regenteppich hindurch und hinterlässt mir als Kondensat einen, hm, Notizbuchmulm.

Die von Natur aus vorsichtigen Regenwürmer scheuen Begriffe bekanntlich rigoros und ringeln sich aus den Böden wie die Zeilen in meinem Notizbuch, in dem ich von Maulwürfen berichten wollte.