Von Menschen, Tieren und anderen Kreaturen
ANDERES WERDEN
Anna Maria Stadler
I.
Eine Reihe an Dingen in anwachsender Größe in einer Landschaft. Im Nähergehen erkennt sie in dem ersten kleinen Ding in der Wiese ein totes Insekt, zu klein fast, für ihr Aufmerken, unweit davon eine reglose Maus. Im Weitergehen den Kadaver eines Kaninchens, einen zerdrückten Katzenkörper und dann immer größer Werdendes: eine tote Ziege, ein schwerer Eselkörper, das Gras darunter zerdrückt. In unveränderten Abständen zieht sich die Reihe über die Wiese und hinein ins nächste Feld, passt sich dabei der Form des Geländes an. Sie geht mit wachsendem Grauen schlafwandlerisch, in dem Wissen, dass nach den Körpern der reglosen Tiere unweigerlich die Menschenkörper auf ähnliche Weise aufgereiht in der nächsten Senke liegen werden. Sie geht die seltsame Reihe ab, im Versuch herauszufinden, wo sich die Schwelle in dieser Anordnung befindet, an welcher das Töten zum Verbrechen wird.
II.
Sie benötigt nur einen Farbverlauf, und wenn es ihr einfällt, an diesen zu denken, das zarte Lila zwischen dem blassen Grün, wild wucherndes Gestrüpp, stachelige Blüten zwischen hohen Gräsern, hüllt sie sich darin ein.
III.
In dem Raum mit den geöffneten Türen sollen sie Tier werden. Sie sind eine Gruppe zufällig Zusammenkommender, wechseln im Gehen die Geschwindigkeit und Richtung, versuchen einander nicht vor die Füße zu laufen. Sie suchen nach Bewegungen, die für sie nicht naheliegen, geben sich Mühe, die gewohnten Abläufe abzuwehren, um in einen anderen, ihnen unbekannten Modus zu finden. Sich auf eine Weise zu bewegen, wie sie sich noch nie zuvor wach bewegt haben. Sie kriechen am Boden, rollen und robben, gehen rückwärts mit geschlossenen Augen sehend, verlassen ihre Körper, um anderes zu werden.
IV.
Das Wasser fällt vor ihr drei Meter tief ab, durchsichtig. Am Grund des Beckens liegt auf Beton eine Sichel, wie eine Schale, wie eine Bohnenhülse, gelb. Sie ist heute zerronnen, etwa fünfzehn Minuten lang hat sich alle Haut und die feinen Haare, die einen Bogen über ihren Augen bildeten, in Flüssiges verwandelt, das ihr langsam an den Beinen herunterfloss, ihr Gesicht dabei mitnahm.
V.
Vor der öffentlichen Toilette sammeln sich mehrere, sie hört ungläubiges Murmeln, Fluchen und den langgezogenen Schrei eines Tieres. Ohne eine Entscheidung zu treffen, geht sie näher, sieht zwischen den Beinen der Zusammenstehenden rote Flecken am Fliesenboden, dazwischen unkontrollierte Bewegungen, ein verzweifeltes Flattern, und unablässig, der dröhnende Schmerzschrei des Tieres. Sie will sich die Ohren zuhalten. Was hier passiert ist, was hier passiert, bekommt sie heraus, und der Nebenstehende erklärt ihr, dass wohl jemand einer lebenden Gans die Haut des Halses abgezogen habe. Sie versucht, das Bild des offenliegenden Halses der Gans wegzudrängen, bevor es in ihr entstehen kann, sieht nur das Schlagen der blutigen Flügel. Wie so etwas möglich ist, sagt sie. Und der Mann neben ihr beginnt von einem gut geschliffenen Taschenmesser zu sprechen. Nein, wie jemandem so etwas möglich ist, sagt sie, und wartet beim Klettergerüst auf die Tierrettung, bis der eindringliche Gänseschrei verstummt, dann geht sie weiter.
VI.
Ein schmaler Libellenkörper im metallischen Grün streift sanft ihre Oberfläche. Sie wird sich ein Gewand aus diesem Grün machen und es wie eine Rüstung tragen.