Es raschelt im Schilf, wenn man genau hinhört. Im Schilf am Teich der Universität gehen die Wasservögel am Abend schlafen. Und die Menschen, die der offiziellen Einladung des Rektorats gefolgt sind und gleich sehen werden, was hier in den kommenden Jahren noch gebaut werden wird, die bemerken es nicht. So abgelenkt sind die Besucher*innen von der neuen LED-Beleuchtung am Dach der juridischen Fakultät, dass sie dem Teich den Rücken zuwenden, in die falsche Richtung schauen.
Heute werden die Pläne präsentiert für die Neugestaltung des Teichareals, das immer noch ‚Biotop‘ genannt wird – als ob irgendwas, das mit Waschbetonplatten aus den 1970ern umfriedet ist, jemals ein Biotop sein könnte: ein dreißig Zentimeter tiefer, dunkelgrüner Tümpel. Und trotzdem hat sich in den Jahren hier so etwas wie Artenvielfalt entwickelt, sind Tiere gekommen, mit denen man nicht gerechnet hat. Und jetzt wollen sie einen schwimmenden Festsaal direkt auf dem Teich für die Sponsionsfeiern: Der Rektor, das Nachhaltigkeitsreferat und das niederländische Architektenpaar, das die internationale Ausschreibung zum Innovativen Redesign der Wasserfläche gewonnen hat. Ein prestigeträchtiger Auftrag – ohne massives Sponsoring der Industriellenvereinigung für die Uni unmöglich zu stemmen.
Nach all den monatelangen Umbauten rund um den Teich haben sie nun endlich etwas für den Teich selbst gefunden. Denn was jetzt schon alles ,neugestaltet‘ und ,belebt‘ worden ist am ,Campus der Zukunft‘, das reicht noch nicht. „Wir haben mit diesen Umbauten eine Wohlfühloase für die Studierenden kreiert“, so die Pressesprecherin der Universität. Mit Sand, der mit großen Schaufelbaggern aus Gewässern gerissen worden ist, Herkunft: Übersee. Selbst in Dubai wird der Sand schon importiert. Und wofür? Um hier einen halbherzigen Versuch zu starten, ein Ufer nachzubauen, ,Beach Flair zu schaffen‘. Damit wir Menschen tagsüber das Wasser anschauen können, während wir auf den hübschen, beige gebeizten Bänken sitzen, die die Rentner*innen aber nicht erreichen, weil sie auf dem Weg dorthin mit dem E-Rollator im Sand stecken bleiben würden. Nachts kommen die Teenager*innen aus dem Viertel hier her, trinken ihre CBD-infused-Bio-Alkopops und graben dabei die Zehen in den Sand, der zum Dumpingpreis beim Großhändler in Belgien gekauft wurde, wie mir einer der Hilfsarbeiter hinter vorgehaltener Hand erzählt hat.
Hinter dieser Sandkiste für Erwachsene ist Rasen gesät worden, wo Wiese sein sollte. Es erfüllt mich mit Genugtuung, wie ich bemerke, dass sich jetzt in der Dämmerung die Blässhuhn-Babys auf die weite Reise zehn Meter weg vom schützenden Schilfgürtel gemacht haben, um die Grassamen rauszupicken.
Ich weiß, dass mich die Universitätsleitung heute nicht nur eingeladen hat, weil es gut für das grüne Image ist, sondern vor allem weil es seit drei Monaten einen neuen Paragraphen im Naturschutzgesetz gibt, der besagt, dass einer selbsternannten Interessensvertretung einer durch bauliche Veränderungen auf öffentlichem Grund betroffenen Spezies die Möglichkeit geboten werden müsse, an ihrer statt ihre Causa vorzulegen. Ich bin die Entenfrau, ich erläutere, was das für die Tiere genau heißt, wenn so massiv in ihren Lebensraum eingegriffen wird, und fordere die Verantwortlichen auf, das in ihren Bebauungsplänen mitzudenken. Wir Umweltschützer*innen haben lange genug dafür demonstriert, dass das möglich wird. Wir haben viel gelernt in den letzten Jahren, auch was die verschiedenen Formen von Aktivismus betrifft. Uns mit Superkleber an den Eingang des Parlaments geklebt, bis sie mit Wasserwerfern statt Lösungsmitteln gekommen sind. Wir haben durch die Besetzung der Hainburger Au 1984 und den damit verbundenen massiven Demonstrationen gegen die Rodung von Auwäldern ein beeindruckendes historisches Vorbild gehabt, das uns gelehrt hat: Der zivile Ungehorsam, er hilft. Auch in Österreich, auch in Naturschutzfragen. Wo damals ein Wasserkraftwerk hätte gebaut werden sollen, ist heute ein Nationalpark.
Weltweit kämpfen Klimaschützer*innen seit Jahren dafür, dass nach den Bürger*innenversammlungen und den verpflichtenden Volksentscheiden in Klimafragen nun auch biokratische Ansätze im Grundgesetz stehen. Natürlich sind wir immer noch weit entfernt von dieser hypothetischen Regierungsform, die auch Pflanzen und Tieren durch menschliche Fürsprache demokratische Grundrechte zuspricht, aber wir sind auf Bundesebene auf einem guten Weg. Seit Aktivist*innen drei Sommer in Folge regelmäßig österreichische Gewässer giftgrün gefärbt haben, um auf Umwelttoxine aufmerksam zu machen, sind es besonders Universitäten und Unternehmen, die mit Nachhaltigkeit kokettieren und uns kontaktieren, damit wir Pflanzen, Tieren und Gewässern unsere Stimmen leihen. Endlich passiert etwas.
Seit der Populationsexplosion unter den heimischen Wasservögeln 2020 wissen wir, dass diese sehr empfindlich auf ihre Umgebung reagieren. Die monatelange Ruhe auf dem durch den Corona-Showdown verwaisten Campus hat zu einem ganz neuen Brutverhalten geführt: viel mehr Jungtiere und eine höhere Überlebensrate. Und jetzt will man ihre Wasserfläche verbauen, ihnen mit einer schwimmenden Halle den letzten Bereich des Universitätsareals nehmen, der nur ihnen allein gehört.
Meine Rede, die ich gleich halten werde, fühlt sich plötzlich hölzern an, zu akademisch. Voll mit Diagrammen und Statistiken, einer neuen Studie der Uni Auckland über die Lärmtoleranz von Vögeln. Zu viele Zahlen, zu wenig Seele. Auf die Wissenschaft hört man ja schon lange nicht mehr. Und dabei möchte ich doch gehört werden.
Vielleicht braucht es einen anderen Zugang, dass ich verstanden werde, wenn ich sage: Wir sind nur eine der vielen Arten, die sich diesen Planeten teilen, wir müssen also an alle denken. Global und hier – auch bei dem Teich vor unserer Haustür. Es zählt jede*r und damit dürfen nicht mehr nur Menschen gemeint sein. Dieses Umdenken ist hart, aber gerade darum gibt es ja uns, darum machen wir das ehrenamtlich, darum sprechen wir bei Versammlungen für die, die es nicht können.
Eine Begehung hätte ich vorschlagen sollen, denke ich jetzt. Ich hätte sagen sollen: Suchen Sie sich alle ein- mal einen gemütlichen Platz am Wasser und schauen Sie und hören Sie und spüren Sie das alles. Hören Sie sich das Quaken der Enten an, geht Ihnen da nicht das Herz auf? Wenn man sich einmal darauf einlässt, sie zu beobachten, diese unpackbare Niedlichkeit in den Details zu sehen: Wenn sie sich treiben lassen und sich plötzlich mit den Flossen am Kopf kratzen. Wie schön das Orange und das Braun an den Schnäbeln der Schnatterentenweibchen ineinander fließen, sehen das alle? Wie prächtig königsblau die Federn der Männchen besonders im Licht des späten Sommerabends glitzern, einem Pfau ähnlich. Und haben Sie schon die gelben, klauenhaften Füße der Teichhühner bemerkt? Wie sie die Hüfte vorschieben beim Gehen – wie ein T-Rex! Wer einmal ein paar Teichhühner dabei beobachtet hat, wie sie sich an Land um Nahrung streiten, der sieht nicht bloß Vögel, sondern kleine Dinosaurier mit Federn.
Vielleicht täten Sie sich dann leichter, wenn ich sagen würde: Auch diese Tiere haben genauso nicht nur ein Recht auf Leben wie Sie, sondern ebenso ein Recht auf Ruhe. Auf Dunkelheit, auf Privatsphäre.
Nicht nur in der Brutzeit. Darum nicht auch noch ein Gebäude auf dem Teich, bitte! Darum keine Open- Air-Mensa-Feste mehr im Park, bitte! Drehen Sie die Fassadenbeleuchtungen nachts ab, da ist niemand hier außer den Tieren! Die beeindrucken Sie nämlich nicht mit Ihrer Architektur, mit Beton und Stahl und Glas, das leuchten und blinken kann.
Hat sich eigentlich von Ihnen schon jemand Gedanken darüber gemacht, dass all die Insekten, die jede Nacht in die Beleuchtung fliegen und verbrennen oder aus Erschöpfung sterben, weil sie die Lampen ihrem Instinkt gemäß stundenlang umkreisen, nicht nur als Bestäuber*innen für Pflanzen fehlen, sondern auch als Nahrung für die Bewohner*innen unseres Teiches? Wissen Sie, dass nicht mehr nur in China die Bäume der Obstplantagen händisch bestäubt werden müssen, sondern dass es bei uns auch schon losgeht, in der Wachau und der Steiermark? So etwas steht halt nicht in der Zeitung. Wäre Ihnen aber wahrscheinlich ohnehin egal. So wie Enten Ihnen egal sind. Außer, wenn die Enkelkinder da sind und man ein kleines Abenteuer braucht beim Spazierengehen, nicht wahr? Da ist es auch egal, dass Enten kein Brot mögen – lieb ist es, wenn das Kind Brocken des alten Ciabattas in den Teich schmeißt, gleich Livestream in die Familiengruppe. Muss ich erst so etwas sagen, damit meine Zuhörer*innen endlich beschämt zu Boden schauen – die Anrainer*innen, aber vielleicht auch der Rektor, die Architektin?
Das Vernünftigste wäre wohl, jetzt auf dieses Podium zu gehen und vorzuschlagen, man betoniert den Teich zu. Ich möchte das Entsetzen in den Augen des Publikums sehen, wenn es mich das sagen hört. Mich, die Entenfrau. Konsterniert würden Sie sein, wenn ich fordere: Fischt morgen die Goldfische aus diesem sinnlosen Tümpel und ordert den Lkw mit der Betonfüllung her! Statt eines Teiches bauen wir einen Skatepark auf den Campus – passend zum aktuellen Revival der 90er. Das ist vielleicht nicht das Beste für die Enten, aber das Fairste: Ihnen zu kommunizieren, dass sie hier eigentlich nicht erwünscht sind, dass sie maximal Deko sind, dass sie sich lieber schleichen sollen. Sollen sie der Donau ein paar Kilometer abwärts folgen, da wird im Augebiet seit vielen Jahrzehnten von der Österreichischen Bergbau GmbH in großem Stil Schotter abgebaut, da bilden sich durch Regen und Grundwasser Seen, das muss reichen. Maschinenlärm sind die Tiere ja schon gewohnt. Ach, zu radikal ist das? Dann hören Sie mir jetzt genau zu: Suchen Sie sich alle einmal einen gemütlichen Platz am Wasser und schauen Sie und hören Sie und spüren Sie das alles. Hören Sie sich das Quaken der Enten an – da geht Ihnen doch das Herz auf! Oder sind Sie gedanklich schon zu nahe an Weihnachten: Ente, Blaukraut, Knödel? Der Teller, wenn Sie ehrlich sind, der ist es doch, auf den die Ente für Sie wirklich hingehört, nicht wahr?
Lisa-Viktoria Niederberger, geboren 1988 in Linz, hat in Salzburg Kunstgeschichte und Germanistik studiert. Talentförderungsprämie des Landes Oberösterreich für Literatur 2019. Gegenwärtig studiert sie Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Ihr literarisches Debüt Misteln ist im März 2018 in der edition mosaik erschienen.