Pressestimmen
Sigi Zimmerschieds Vorpremiere „Hirnrisse“ in Obernburgs Kochsmühle
OBERNBURG. Aller guten Dinge sind elf. Spätestens seit Donnerstagabend wissen das alle, die den Weg in die Obernburger Kochsmühle gefunden hatten. Dort stellte Sigi Zimmerschied sein elftes Soloprogramm vor. Der Titel: „Hirnrisse“, und was da 80 Minuten lang vor den begeisterten Kabarettfans ablief, war zutiefst politisches Kabarett im Gewand absurden Theaters mit höchstem Unterhaltungswert, präsentiert von einem Vollblutschauspieler, der mit Gestik und Mimik auf allen Bühnen Deutschland eine glänzende Figur abgeben wurde.
Der 53jahrige Passauer, der nach eigenen Worten vor 35 Jahren zum letzten Mal die „heilige Beichte“ abgelegt hat, sinniert in seinem neuen Programm hinterfotzig und oft tief und abgründig über die menschliche Natur. Manchmal sollte man Interviews ernst nehmen auch die von Kabarettisten. Zimmerschied sagte im vergangenen Jahr im „Plärrer“: „Niemandem glauben, am allerwenigsten sich selbst. Und den Menschen in seiner Heillosigkeit und seinen Widersprüchen annehmen und die Groteske seiner Existenzbewältigungsversuche, inklusive der eigenen, mit wohligem Schauern und zornigem Lachen genießen.“
Vielleicht ist das die beste Interpretation von „Hirnrisse“. Hier teilt Zimmerschied die Menschen natürlich auch die Zuhörer in „Nuller“ bis „Zwölfer“ ein, je nachdem, wie viele Stahlnägel sie sich in den Kopf geschossen haben. „Zwölf Nägel im Schädel bedeuten Seligkeit, CSU, RTL, BMW, BWL … Benedikt und Florian Silbereisen. Den SPDler erkennt man daran, dass er versucht sich den dreizehnten in den Kopf zu hämmern immer der bessere CSUler.“ Er sprach über die „vielen Durchschnittssechser“, die „hartzigen Vierer“ und die empfindlichen „Nuller“, die ihre Wohnung kaum noch verlassen. Wie viele Nägel ein „ausgehungerter niederbayerischer Gemeinderat“ im Kopf hat, blieb offen, nicht aber, dass er während des Papstbesuchs in Bayern dem Rotlichtmilieu einen wahren Boom verschafft hat. Zimmerschied hatte auch Mitleid mit Papst Benedikt, denn der habe fünf Tage lang die „bayerische Funktionärsmafia im G'nack“ gehabt.
Bitterböse war es oft, und mehr als einmal blieb den Besuchern in Obernburg das Lachen im Hals stecken. „Seit Stalingrad ist der Wurm drin“, urteilte Zimmerschied über die Bundeswehr und lieferte paradoxboshafte „Rettungsversuche“: „Gegenüber Dauerarbeitslosigkeit war in Deutschland der Heldentod schon immer eine Alternative“. Und wenn das nicht funktionieren sollte, dann bleibt ja immer noch der „Einmarsch der Bundeswehr in den Kongo als Volkstanzgruppe mit Hansi Hinterseer an der Spitze.“
Bitterböse Satire servierte der Bühnenprofi mit der vordergründigen Gemütlichkeit urbayerischen Volkstheaters, machte den Zuhörern hautnah klar, wie Politik funktioniert, welche Rolle „der Arsch“ als Mittel der Politik spielt und riet dazu, „in der Askese des Existenzminimums“ zu „entschlacken“. Dass er seine Schafe „Angela“ und „Edmund“ nennt, weil er sich dann „leichter beim Schlachten“ tut, dass für ihn das Fernsehen das „größte Nagelstudio der Welt“ ist und der „Zwölfer“ die „Metamorphose des Menschen zum Beamten“ darstellt, waren solche Beispiele schneidend böser Aussagen im Outfit uriger Lederhosen, vorgeführt mit einem wahren Gestik und Mimikfeuerwerk, der nie auch nur eine Sekunde Langeweile aufkommen ließ. „Sigi, du hast den Hang zur Gosse“, charakterisierte der Kabarettist sich selbst und das Publikum in Obernburg war auch darüber begeistert.
Man muss Zimmerschied gehört und vor allem gesehen haben, wenn man verstehen will, was aggressives politisches Kabarett auch heute noch leisten kann, in einer Zeit, in der viele von der Krise des politischen Kabaretts raunen. Gut für so manchen Kleinkünstler, dass Zimmerschied trotz aller Erfolge viel weniger Leute gesehen und gehört haben, als er es verdienen würde. Sonst würden sie mit ihren Bemühungen auf der Bühne ganz schön alt aussehen.
Heinz Linduschka, Obernburg
Auf direktem Weg in die absolute Debilität
Gewaltiger Zorn, überragendes Programm: Sigi Zimmerschieds Vorpremiere in der Neuen Welt
Ingolstadt (DK) „Vor kurzem schoss sich ein Amerikaner mit einer Nagelmaschine zwölf Stahlstifte in den Kopf, ohne dass bleibende Schäden entstanden wären“. Dieser Satz ist der Ausgangspunkt des brandneuen Soloprogramms „Hirnrisse“ von Sigi Zimmerschied, das das Passauer Kabarett-Urgestein an diesem Abend in einer umjubelten Vorpremiere in der ausverkauften Ingolstädter Neuen Welt vorstellt. Und es geht dabei nicht um den dortigen Präsidenten, sondern um – weil die Amerikaner ja immer die weltweiten Trends setzen – einen künftig zu erstrebenden Idealzustand. Sinnlosigkeit ist das Ziel, selig ist der umfassend Vernagelte, der vollständig Debile, der sich permanent mit dem kognitiven Vakuum in und um sich herum Beschäftigende, der sich um nichts mehr sorgen muss, der von jedweder Verantwortung befreit ist.
Bei Zimmerschied heißt er: der Zwölfer. Es gibt ihn bereits. In verschiedenen Entwicklungsstadien. Als Dreier, Vierer oder Sechser. Als RTL-Seher, Ballermann oder Florian Silbereisen, in Glaubensgemeinschaften, Amtsstuben und als Radiomoderator. In den Bereichen Talkshow und Politik trifft man sogar ausnahmslos auf Neuner, und sobald die Sprachunfähigkeit anfängt, ein Fall für den Ornithologen zu werden, deutet alles auf einen Zehner hin.
Anhand verschiedener Grunz und Urlaute kann man sogar den Unterschied zwischen „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und „Marienhof“ ausmachen. Zimmerschied bittet zum Beweis seiner These das anwesende Publikum, als Jury zu fungieren. – Die Trefferquote ist beeindruckend. Mit diebischer Freude, spott-triefender Sprache und vollendeter Mimik stellt er sie alle vor in ihren Entwicklungsstadien, die das Feuilleton, die Nachrichten und die Politik bevölkernden Gestalten, streift aktuelle Ereignisse wie Papstbesuch, Selbstmordattentate und Bundeswehreinsätze, entlarvt Philosophengeschwätz und Ministerphrasen, bezeichnet das Maximilianeum als Dependance des Bezirkskrankenhauses Haar – die bayerische Staatsregierung war ja schon immer eines seiner bevorzugten Ziele – und definiert die Große Koalition in Berlin als Alzheimer-Combo.
Zimmerschied ist böse. Und er meint es wie immer ernst, seine Verbalattacken hören sich lustig an, sind aber Tiefschläge, die weh tun. Wenn er richtig in Fahrt ist, möchte man ihm nicht in die Quere kommen. Zimmerschied als willfähriger Hofnarr auf dem Nockherberg, seine Opfer freundlich klatschend im Publikum – das wäre undenkbar. Statt Beifall gäbe es Saalflucht. Sein Zorn ist gewaltig, sein Programm überragend.
Auch und gerade, weil es nicht nur äußerst geschickt konzipiert, dramaturgisch erstklassig umgesetzt und satirisch perfekt überhöht, sondern weil es auch noch wahr ist.
Man stelle sich vor: Ein ganzes Volk, von Neunern und Zehnern zu Zwölfern verblödet, – wem könnte man leichter als ihm heiße Luft, schamlose Lügen, die eigene Ignoranz und Bedeutungslosigkeit verkaufen? Eben.
Karl Leitner, Ingolstadt