SCHNITT # STELLEN – PROJEKTARBEIT MIT JUGENDLICHEN IM SPANNUNGSFELD VON MEDIEN, KUNST, VERMITTLUNG UND PARTIZIPATION
Tagung | Anmeldung unter medialab.moz.ac.at/aktuelles/#schnitt
Die Tagung findet zum Abschluss des Forschungsvorhabens SCHNITT # STELLEN statt, bei dem zwei Medienkünstler*innen und ein Kultur- und Medienpädagoge gemeinsam mit Schüler*innen einer städtischen Mittelschule Spielprojekte entwickelten und aufführten. Dabei standen sowohl Wechselwirkungen und Synergiepotenziale als auch Reibungsflächen der medienkulturellen Lebenswelten Jugendlicher und dem Feld der zeitgenössischen Medienkunst im Fokus. Nach einer Kurzpräsentation des Vorhabens sind Leiter*innen von Projekten, bei denen es ähnliche Schwerpunktsetzungen gab, dazu eingeladen, von ihren Arbeitsweisen und Erfahrungen zu berichten. Im Vordergrund steht der Austausch zu Fragen, die im Verlauf der Aktivitäten auftauchten, und die gemeinsame Suche nach möglichen Antworten sowie Weiterentwicklungsperspektiven.
Die Teilnahme an der Tagung ist nur mit vorheriger Voranmeldung möglich! Hier können Sie sich für die Teilnahme anmelden.
Programmpunkte
Eröffnung und Projektpräsentation (09:00-10:15)
Mit Vertreter*innen der Universität Mozarteum und des Landes Salzburg
Projektpräsentation mit Sonja Prlić, Iwan Pasuchin und Karl Zechenter (Salzburg)
Spielerischer Austausch (10:30-12:00)
Slot 1 Künstlerische Intentionen (13:00-14:15)
Tabea Hörnlein und Sophia Keil (Dresden)
Esther Pilkington (Hamburg)
Slot 2 Vermittlungsziele (14:30-15:45)
Setara-Anna Lorenz (Wien)
Matthias Vogel (Hamburg)
Slot 3 Gesellschaftliche Intentionen (16:15-17:30)
Boris Schuld (Wels)
Thomas Kupser (München)
Abschlussdiskussion (17:45-18:30)
Slot 1: KÜNSTLERISCHE ANSPRÜCHE
Game Theater machen
Am tjg. theater junge generation entstanden in den vergangenen Spielzeiten mehrere hybride Theaterproduktionen mit Jugendlichen. Unter Anleitung eines künstlerischen Teams haben die Jugendlichen Game-Theater-Inszenierungen für die Bühne und für den digitalen Raum entwickelt. Dabei sind sie von Spieldramaturgien, sowohl von (Online-)Games, als auch von Gruppen- und Brettspielen ausgegangen, haben diese weiterentwickelt, variiert und auf die Theatersituation übertragen. Die Jugendlichen entwickelten Theaterspiele, in denen man als Publikum Avatare steuerte, A-B-Entscheidungen traf und durch Jump-and-Run-Welten rannte.
Bisher entstand sowohl ein Inszenierungskonzept, das die Bühne in ein Spielset verwandelt und das Publikum als Mitspieler*innen involviert, als auch eines für den digitalen Raum. Beide Ansätze konnten aufgrund der Corona-Pandemie nicht zur Aufführung kommen. Als Ergebnis dieser künstlerischen Arbeit ist nun ein Kartenspiel entstanden, das es Gruppen aus nicht-professionellen Spieler*innen ermöglicht, eigene Game-Theater-Inszenierungen anzugehen. Das Projekt war für den Kulturlichter-Preis – deutscher Preis für Kulturelle Bildung 2020 in der Kategorie ‚Preis des Bundes‘ nominiert.
Sophia Keil arbeitet seit 2017 am tjg. theater junge generation Dresden als Theaterpädagogin. Neben ihren ersten eigenen Regiearbeiten #NOFILTER (2019) mit und für Jugendliche zum Thema virtuelle Identitäten und Realitätswahrnehmung und der rein digitalen Inszenierung DRUCKAUSGLEICH (2021) begleitete sie 2020 die Gaming-Inszenierung MULTIVERSUM zusammen mit dem Theaterkollektiv komplexbrigade.
Tabea Hörnlein war von 2011 bis 2021 als Theaterpädagogin und Dramaturgin mit digitalem und partizipativem Schwerpunkt am tjg. theater junge generation Dresden tätig. Seit September 2021 ist sie als Theaterpädagogin und Fotografin selbstständig.
Was wäre, wenn … dein Leben eine Fernsehserie wäre?
Seit 2013 produziert irreality.tv partizipative ortsspezifische Webserien. Dabei geht die Einladung, mitzuspielen, an alle ohne Vorgabe eines Drehbuches – während ein Grundplot feststeht (z. B. wir drehen eine Geisterserie), wird die Geschichte gemeinsam mit den Mitspielenden nach deren Wünschen entwickelt. Der Alltag vor Ort ist Ausgangspunkt für Stories, die sich zwischen Dokumentation, Fiktionalisierung und Inszenierung bewegen und damit genau eben diesen Alltag überschreiten und verändern. Die gemeinsame Produktion einer Webserie kann dabei auch der Umweg zur kollektiven Recherche sein: In den Serien entstehen Portraits von Orten und ihren Nutzer*innen, bei denen niemand mehr sagen kann, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verlaufen. „Was wäre, wenn …“ stellt die Arbeitsweisen von irreality.tv vor und will einen Überblick über die verschiedenen Einladungen und Ebenen der Partizipation bei irreality.tv geben – von kurzen Rollen bei Massendrehs bis hin zu Hauptrollen ist alles zu vergeben. Dabei geht es um praktische Fragen („Wie sprechen wir die Leute an und wen?“), aber auch um künstlerische Setzungen („Welche Geschichten wollen wir wie erzählen?“), anhand von beispielhaften Szenen aus den verschiedenen Serien von irre-ality.tv.
Esther Pilkington ist Performancemacherin und -forscherin und lebt und arbeitet in Hamburg. Ihre Arbeiten realisiert sie zum großen Teil in Kollektiven, z. B. mit random people, der geheimagentur und eben irreality.tv. Dabei kommen verschiedene Medien und Formate zum Einsatz: Lecture Performances, (unwahrscheinliche) Versammlungen oder Webserien.
Slot 2: VERMITTLUNGSZIELE
Irgendwas mit Medien
„Sag mal, du machst doch was mit Medien…“ – ein Satz, den ich als Medienpädagogin nur allzu oft höre. Je nachdem, wer diese Frage stellt (z.B. Lehrpersonen, Sozialpädagog*innen oder Eltern) kommen dann höchst unterschiedliche Anliegen: Ein Workshop zum Thema Selbstdarstellung und Social Media für eine Jugendgruppe; ein Projekt, bei dem Schüler*innen ein Spiel programmieren; eine Microsoft Word-Schulung oder auch Fragen zu passenden Jugendschutz-Apps. Hier wird deutlich, dass es viele verschiedene Ansichten darüber gibt, was Medien sind und was als besonders wertvoller Inhalt für die Vermittlungsarbeit gesehen wird. Was aber von der jeweiligen Zielgruppe als interessant empfunden wird, ist wieder eine andere Sache.
In meinen Workshops, die ich vorrangig im Rahmen meiner Mitarbeit bei der Wiener Agentur für Kultur- und Medienpädagogik Bildungsgrund durchführe, arbeite ich vor allem mit der Methode der aktiven Medienarbeit. Oft ist gerade die kreative Nutzung von Medien zur Artikulation der eigenen Ansichten und Ideen über sich und die Welt für Kinder und Jugendliche besonders reizvoll.
Die Schwierigkeit bei der Medienarbeit besteht dann darin, Ziele und Anliegen von Kooperationspartner*innen mit den Interessen und Bedürfnissen der Zielgruppen und eigenen Methoden und Ansprüchen medienpädagogischer Arbeit unter einen Hut zu bringen – und am besten dabei noch technische Kompetenzen, Kritikfähigkeit und Kreativität zu fördern. Ob das überhaupt gelingen kann?
Setara-Anna Lorenz ist Medienpädagogin und arbeitet als Workshopleiterin mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im schulischen und außerschulischen Be-reich sowie in der Kinder- und Jugendhilfe. Inhaltlich reicht ihre Arbeit von Game Design über Cybermobbing-Prävention bis hin zur Produktion von TikTok-Videos.
Der diffuse Raum dazwischen
Kulturagent*innen sind Vermittler und Schnitt-Stellen zwischen dem System Schule auf der einen und Kunstschaffenden und Kulturinstitutionen auf der anderen Seite. Seit zehn Jahren erforschen sie die Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume, die entstehen, wenn Vermittlung nicht aus der Kunst oder aus der Pädagogik gedacht wird, sondern aus dem diffusen Raum dazwischen. Anhand zweier sehr unterschiedlicher Projektbeispiele, die beide an der Stadtteilschule Winterhude realisiert worden sind, werden ‚kulturagentische‘ Vermittlungsstrategien und Fragestellungen vorgestellt.
DIE HEILANSTALT (2017) war eine streng analoge, 21stündige Performance-Installation mit insgesamt rund 21 Stunden Spielzeit und über 100 beteiligten Schüler*innen und ist bis heute das umfangreichste immersive Theaterprojekt einer Schule in Deutschland überhaupt. Das komplette ehemalige Oberstufengebäude der Stadtteilschule Winterhude wurde zur begehbaren Theaterinstallation. Über 500 Besucher*innen ließen sich an drei Tagen stundenlang von den jungen Darsteller*innen ‚behandeln‘. DAS NEULAND PROJEKT (2021) umfasst eine ganze Reihe von Kursen und Experimenten über eine zeitgenössische Netzkultur. Schüler*innen, Lehrer*innen und Künstler*innen forschten und experimentierten gemeinsam zu aktuellen Netzphänomenen wie GIFs oder MEMEs, stellten historische Internet-Challenges nach oder stellten sich in einem einsamen Schullandheim der härtesten aller Prüfungen: 100 Stunden ohne Internet!
Matthias Vogel ist Filmemacher und Jurist. Als Kulturagent hat er seit 2011 spartenübergreifend rund 75 künstlerische Projekte an drei großen Hamburger Stadtteilschulen umgesetzt. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Preise, zuletzt den Grimme-Online-Preis, den Social Design Award und eine Goldene Kamera für DULSBERG LATE NIGHT.
Slot 3: GESELLSCHAFTLICHE INTENTIONEN
Ihr sagt Ghetto … wir sagen …
Das Jugendmedienprojekt Nachbarschaft
in Wels
Die Siedlung Straubingerstraße im Welser Stadtteil Neustadt besteht aus einer Reihe von sozialen Wohnbauten und hat seit längerer Zeit einen schlechten Ruf. Die in der öffentlichen Wahrnehmung verursachenden Faktoren des schlechten Rufs sind in erster Linie Vorfälle von und mit jugendlichen Migrant*innen im öffentlichen Raum. Diverse Medienberichte, aber auch die Diskussionen in den Gemeinderatssitzungen in den letzten Jahren verstärkten den Eindruck, dass es sich bei dem Gebiet um ein ‚Problemviertel‘ handelt.
Spricht man vor Ort mit den Jugendlichen und Sozialarbeiter*innen, zeichnen diese jedoch ein anderes Bild: Eine gewöhnliche Stadtrandsiedlung, in der wenig los ist, die jedoch über keine schlechte Infrastruktur verfügt: Jugendzentrum, Streetwork, Funcourt, Einrichtungen mit denen sich die dort wohnhaften Jugendlichen identifizieren. Die bloße Anwesenheit von Jugendlichen wird häufig als Störung wahrgenommen und deren Sicht wird kaum beachtet.
Im Sommer 2014 zog ein kleines Team des Medien Kultur Haus mit technischer Ausrüstung für fünf Wochen in das Jugendzentrum im Stadtteil. Das Team versuchte gemeinsam mit den Jugendlichen vor Ort ein selbstbestimmtes Bild zu erarbeiten und mit verschiedensten Medien einen differenzierten Blick auf das alltägliche Leben, die Nachbarschaftsbeziehungen, die Probleme und die guten Dinge des Viertels zu werfen.
Boris Schuld lebt freiwillig in Wels und ist dort seit Anfang der Neunziger in der hiesigen Kulturszene aktiv. Studium der Soziologie an der JKU Linz. Seit 2007 im Medien Kultur Haus Wels für die Betreuung und Entwicklung von Jugendmedienprojekten zuständig. Von 2015 - 2018 Leitung des YOUKI Internationales Jugend Medien Festivals.
PARLAMENSCH
Kreative Medienarbeit als inspirierende thematisch fokussierte Auseinandersetzung
Wenn du die Gesellschaft verändern könntest, was würdest du tun? Vor dieser Frage stehen seit Sommer 2019 jugendliche Filmemacher*innen aus ganz Bayern im Rahmen des Projekts PARLAMENSCH. Ihre Antworten auf diese und weitere Fragen des Lebens in einem politischen System, welches einfache Bürger*innen zu Entscheider*innen werden lässt, gaben sie in Form von 30 kurzweiligen Episodenfilmen. Die Webserie PARLAMENSCH ist ein filmisches Planspiel und gleichzeitig ein Experiment, an dem gemeinsam und parallel über 400 junge Filmemacher*innen aus ganz Bayern gearbeitet haben. Entstanden sind drei Staffeln mit Kurzfilmen, die Grundfragen der demokratischen Gesellschaft erörtern. Dabei ist bereits der kreative Prozess von Anfang an auf allen Ebenen basisdemokratisch mit allen Beteiligten strukturiert. PARLAMENSCH zeigt, wie kreatives Filmemachen mit sehr vielen Beteiligten, die trotz unterschiedlicher Orte gemeinsam agieren, funktioniert. Zudem kann das großartige, vielschichtige und Horizont erweiternde Ergebnis in der politischen Bildungsarbeit On- und Offline eingesetzt werden. Das bundesweit ausgezeichnete Projekt PARLAMENSCH steht exemplarisch für kreative Medienarbeit, die den Raum für inspirierende thematisch fokussierte Auseinandersetzung öffnet. Anhand dessen können beim Slot 3 eigene Anknüpfungspunkte diskutiert werden. Es lohnt sich, vorab einen Blick auf die Webseite zu werfen: www.parlamensch.de
Thomas Kupser ist diplomierter Sozialarbeiter und schloss außerdem ein Studium in Kultur, Ästhetik und Medien ab. Derzeit ist er als medienpädagogischer Referent beim JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (München) tätig. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich Festivalorganisation, Projektleitung, kreative Möglichkeiten von Mobiles, Film und Jugendmedienförderung.