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Kurdwin Ayub „Paradies! Paradies!“ & Djordje Čenić „Unten“ am 10.11.2017 um 19:00 Uhr

Kurdwin Ayub „Paradies! Paradies!“ & Djordje Čenić „Unten“

„Familienfilmabend“, anschließend Publikumsgespräch mit den RegisseurInnen. Moderation: Adrian Goiginger.

ARGE schwerpunkt open mind festival

Was ist Familie, was ist Heimat & wo wird sie verortet? Diesen Fragen gehen die zwei RegisseurInnen Kurdwin Ayub & Djordje Cenic in ihren Langfilmdebüts nach. Beide verbinden ihre unterschiedlichen kulturellen Wurzeln, die sie in ihren tragikomischen Selbst- & Generationenporträts dokumentieren. Den FilmemacherInnen & dem Moderator, Adrian Goiginger („Die beste aller Welten“), sind somit nicht nur ihre Preise bei der Diagonale gemeinsam, sondern auch die aufschlussreiche Art, die herkömmliche Vorstellung von Familie filmisch zu dekonstruieren.

PARADIES! PARADIES!

Regie: Kurdwin Ayub, AT 2016, 78 Min, OmdU

Wien, Österreich. Eine Arztpraxis, zwei junge Patienten, der Arzt stellt die Tochter Kurdwin vor, die eine Reportage über ihn und Kurdistan plant. So beginnt ein vielschichtiges Soft-Melodram mit Homevideo-Momenten: eine Familie und deren transnationale (Gefühls-)Ökonomien in Interaktion mit machtvollen kriegerischen Konflikten. Ein intimes, stellenweise skurriles und ernüchterndes Generationenporträt über Ver- und Entwurzelung als individuelles Familienschicksal und gleichzeitiges Massenphänomen des 20. und 21. Jahrhunderts.

Filmstill von PARADIES! PARADIES!
Filmstill PARADIES! PARADIES!

1991 floh Kurdwin Ayub gemeinsam mit ihrer Familie aus dem Irak nach Österreich. Fast 25 Jahre später begleitet sie ihren Vater auf seiner Reise in die frühere Heimat. Das fast leere Flugzeug landet mit filmender Tochter und strahlendem Vater in Erbil, der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebietes im Nordirak. Eine Stadt, die in den letzten Jahren einen Immobilienboom sondergleichen erlebt, und gelegentlich mit Dubai verglichen wird. Vater Omar plant eine Wohnung in Kurdistan zu erwerben, sei es als Wochenendsitz, als Investition oder als Alterssitz. Während Omar voller Enthusiasmus nach einer Eigentumswohnung sucht, um früher oder später nach Kurdistan zurückzukehren – ins Paradies auf Erden, wie er seine alte Heimat in Lobeshymnen glorifziert –, sieht sich Kurdwin mit einer ihr unzugänglichen Lebenswelt konfrontiert: einer anderen Kultur, anderen Gepflogenheiten und einer Sprache, die sie nicht beherrscht. Im Herkunftsland ihrer Eltern ist sie eine Fremde.

Auch inmitten ihrer Familie, ihrer Großeltern, Tanten und Onkeln, die inzwischen ihr deutsches Exil verlassen haben und wieder im Irak leben, fühlt sie sich nicht beheimatet: „Omar, lässt du mich jetzt allein? Ich hab‘ gar nichts hier. Kein Internet, keine Sprache.“ Doch nicht nur Kurdwin fällt die Identifkation schwer, auch ihre Cousins und Cousinen fühlen sich hier nicht zu Hause. In Deutschland sozialisiert mit TV, Popmusik und Smartphone – in Frieden und (Konsum-)Freiheit –, will vor allem der 16-jährige Haiman so schnell wie möglich wieder zurück. Während die älteste Generation im Wohnzimmer betet, hängen die Jugendlichen also auf der Couch herum und schauen fern oder führen im Kinderzimmer ein spielerisches Hinrichtungsszenario mit anschließendem Eintritt ins von Jungfrauen bevölkerte Jenseits auf.

Filmstill von PARADIES! PARADIES!
Filmstill PARADIES! PARADIES!

Mit Fortdauer der Reise muss sich auch Omar die Illusion einer steten, immerwährenden Heimat eingestehen und seine verklärenden Erinnerungen werden zunehmend von der Realität eingeholt. Ein Zuhause definiert sich u. a. über Sicherheit, Stabilität, räumliche Orientierung – Omar findet hier nicht einmal seine neu erworbene Wohnung. Er tastet sich durch gefährliche Baustellen, zerbombte Straßen und zuletzt – in einer regelrecht unfassbaren Passage – sogar durch die Kampfzone der Peschmerga und des IS. Der Wiederaufbau des zerstörten Landes ist noch nicht vollendet, schon herrschen im „Paradies“ bereits die nächsten kriegerischen Konflikte.

Die Regisseurin filmt als kritische und gelegentlich ironische Zeugin des fragilen Vorhabens mit präzisem Blick für Investitionslandschaften und Interieurs, wie für Geschlechter- und Familienkonstellationen.

Kurdistan, das ist einmal ein Sehnsuchtsort, und einmal eine Bühne, auf der Ayub diesen Ort verhandelt. Die geradezu anarchische Lust, die PARADIES! PARADIES! zu eigen ist, dem Publikum einen zweiten Blick abzuverlangen, weil dem Geschehen auf dieser Bühne nicht zu trauen ist, ist mitverantwortlich für den Reichtum und die Komplexität dieses Films. Das Schöne an PARADIES! PARADIES! ist, wie spielerisch und klug hier Themen wie Genderfragen, Familienangelegenheiten, Fremdheit aufeinander treffen. Exil als filmischer Topos ist so vielleicht noch nicht behandelt worden.
Carte Blanche – Nachwuchspreis des Landes NRW, Duisburger Filmwoche 2016, Jury-Begründung
Paradies! Paradies! ist der bislang lustigste Film dieser Diagonale, bis einem die Tragik der Komik klar wird. Dann ist es ein ziemlich super Film, der noch mehr Fragen aufwirft und nebenbei ein kluges Statement zum Informationsgehalt von Bildern setzt.
Maria Motter, FM4

paradies.docs.atInterview, The Gap

Unten

Regie: Djordje Cenic & Hermann Peseckas, AT 2016, 87 Min, OmdU

Der Dokumentarfilmer Djordje Cenic begibt sich auf eine autobiografische Zeitreise, die Mitte der Siebzigerjahre im jugoslawischen GastarbeiterInnenmilieu in Linz beginnt und ihn in sein kriegszerstörtes Heimatdorf im heutigen Kroatien führt. In teils absurd-komischen, teils tragischen Episoden, die von kleinen Siegen und großen Niederlagen, von Heimweh und Klassengegensätzen handeln, gewährt er tiefe Einblicke in seine Familiengeschichte und illustriert den Spagat zwischen „oben“ und „unten“, der exemplarisch für Generationen von GastarbeiterInnen steht.

Vor 50 Jahren wurde das Anwerbeabkommen zwischen Österreich und der damaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien unterzeichnet. Hunderttausende, meist junge Männer und Frauen, machten sich in den darauffolgenden Jahren auf den Weg, in Österreich ihr Glück zu suchen. Unter ihnen befindet sich Rajko Cenic, der 1971 sein Heimatdorf Uzdolje in Norddalmatien im heutigen Kroatien verlässt. Er folgt dem Ruf seines Bruders und findet in Linz Arbeit als Schlosser. „Ein paar Jahre bleiben, genug Geld für ein Haus verdienen und dann unten ein neues Leben aufbauen“, fasst er vier Jahrzehnte später auf einer gemütlichen Couch im Wohnzimmer einer Linzer Gemeindebauwohnung vor der Kamera seinen damaligen Plan zusammen. Neben ihm sitzt seine Frau Milica Cenic, die sich fragt, wen denn schon eine Geschichte über GastarbeiterInnen interessiert. Einen auf alle Fälle. Ihren Sohn. Denn der hat sich zum Ziel gesetzt, einen Dokumentarfilm über seine Familie zu drehen.

Filmstill von Unten
Filmstill Unten

Die Produktion von „Unten“ dauerte sechs Jahre. Trotz manchmal recht harter Einblicke weiß der Film durch seine Leichtfüßigkeit, Selbstironie und seinen Humor zu überzeugen. Besondere Authentizität verleiht dem Film die Verwendung von Familienfotos und Videos aus Kindheits- und Jugendtagen.

„Unten“ feierte seine internationale Premiere beim Sarajevo Filmfestival (Gewinner EDN Talent Grant 2016), wurde beim Crossing Europe Filmfestival Linz 2016 mit dem „Social Awareness Award“ ausgezeichnet und bei der Diagonale mit dem „Franz-Grabner-Preis“ für den besten Kinodokumentarfilm 2017.

Ein Film, der sich anhand einer intimen Familiengeschichte auf die Suche nach der eigenen Identität begibt. Selbstreflektiert und humorvoll schafft er es, einen Blick auf größere Zusammenhänge herzustellen. Die Regisseure ermöglichen uns einen Einblick in die Welt von GastarbeiterInnen und ihren Kindern, der berührt und das Oben und Unten verbindet.
Crossing Europe Competition, Local Artist Social Awareness Award – Jury-Begründung
Ein so lebendiger wie lebensnaher Film, der einen in anderthalb Stunden auch die geographisch wie zeitlich extrem nahe liegende Geschichte ein gutes Stück besser verstehen lässt. Viel Empathie, aber eben gebrochen durch Ironie und Humor. Quicklebendig zusammengeschnitten.
Reinhard Kriechbaum, DrehPunktKultur

www.facebook.com/unten.doku