A Life, A Song, A Cigarette | Esteban's – Roter Salon No.100
Das runde Jubiläum feiern wir mit Folkpop-topia, Indie-Americana und anderen dunkelroten Klängen.
ARGE roter salon
Nach über 10 Jahren – das entsprechende Jubiläum feierten sie 2014 – und drei Alben sind A Life, A Song, A Cigarette immer noch einer der besten Live-Acts des Landes. Das neue Album „All That Glitters Is Not Gold“ besticht durch seine emotionale Dringlichkeit, atmosphärische Dichte und dramatische Glaubwürdigkeit.
Esteban's jüngstes Werk nennt sich „Overthrown“ und stellt bereits das 3. Studioalbum dar. Mit diesem Album verarbeitet der Musiker den Wandel im eigenen Leben, das Loslösen vom Mutterschiff GARISH und die Erfahrungen des Vaterseins.
A Life, A Song, A Cigarette „All That Glitters Is Not Gold“
Immer noch einer der besten Bandnamen überhaupt: Ein Leben, ein Lied, eine Zigarette.
„Das Kleine“ durchdringt „das Große“. Manchmal beutelts uns Menschlein währenddessen ordentlich durch, manchmal heben wir ab – hey Höhenflug!, hey Ekstase!, hey Liebe!, hey Weltfrieden! – manchmal legen wir eine Bruchlandung hin, rappeln uns auf, putzen uns ab, rauchen eine, singen ein Lied, gehen pfeifend in den Sonnen-/Mond-Aufgang – nächste Runde!
Is this a war we started or are we just blind-hearted? Where are we going to? Darling I have no clue.
(Blindhearted)
Sind vierte Alben wie ein Debüt?
fragt einer der Musiker von A Life, A Song, A Cigarette (Stephan Stanzel – Gesang, Gitarre …, Hannes Wirth – Gitarre, Gesang …, Martin Knobloch – Bass, Lukas Lauermann – Cello, Tasten, Daniel Grailach – Schlagzeug) als sie im Spätsommer 2015 in einem Wiener Gastgarten über ihr Album-to-be „All That Glitters Is Not Gold“ (der Titel ist von Shakespeare entlehnt) sinnieren. Schon, aber irgendwie auch nicht.
Nach über 10 Jahren – das entsprechende Jubiläum feierten sie 2014 – und drei Alben („Fresh Kills Landfill“, 2007, „Black Air“, 2008 und „Tideland“, 2012) sind A Life, A Song, A Cigarette ein personell konsolidierter, künstlerischer Interessenverband von fünf Freunden, die auch andere (kreative) Dinge zu tun haben. Die Band ist immer da, ohne dass sie sich ständig nach außen manifestieren muss.
Was sie dann doch wieder tun wollte. Mit einer EP, die sich – unser Glück! – zum neuen Album ausgewachsen hat, das auf einem neuen Label (Wohnzimmer Records) erscheint. Wie die vorausgeschickte Single „Blindhearted“ kultivieren die 11 neuen Lieder das ursprüngliche Forschungs- und Wirkungsgebiet von A Life, A Song, A Cigarette – upliftende, lebensbejahende Melancholie – und fördern dabei neue Qualitäten zutage. Zu diesen trug Produzent Stefan Deisenberger (Naked Lunch, Nowhere Train) nicht unwesentlich bei, der „bei der Band eingezogen ist“, in ihren Studio-Workspace Tonkombüse, wo sie sich und ihrer Musik mehr Zeit als je zuvor gelassen haben.
Die emotionale Dringlichkeit – haben wir uns früher nicht manchmal gefragt, ob Stanzel bis zum Ende eines Songs, eines Konzerts überleben wird? – übersetzte sich in eine atmosphärische Dichte und dramatische Glaubwürdigkeit. Mit dem Zaubertrick „hoits eich amoi owa“ ließ Deisenberger Band, Songs und die individuellen Musiker freier, kühner atmen. Die Momentaufnahmen, die Songs auch immer sein können, wurden in langen Studio-Wochenenden subtil ausgeleuchtet und sorgfältig inszeniert. Sodass sie zwar immer noch wie aus dem Moment geschöpft, unmittelbar klingen, aber dennoch länger „halten“ oder zu dauern vermögen. Ein Gast wie Karl Stirner (Zither) trägt zu den reichen Arrangements von „All That Glitters Is Not Gold“ bei, die gleichzeitig nie überladen sind oder je die inhaltliche Substanz der Lieder wie „Snow“, „Poisoned By The News“, „If Love“ oder der vor dem aktuellen gesellschaftlichen Background schlicht erstaunlichen Bestandsaufnahme „Simmering Part II“ (I feel easy and free with all the sadness I see/let´s go and kill another day
) übertünchen wollen.
Mit „All That Glitters Is Not Gold“ transzendieren A Life, A Song, A Cigarette abermals und ein für allemal die oft hilflosen Einordnungsversuche ihrer Musik von „Alternative Country“ bis „Indie-Americana“. Sie tun es unter anderem mit einem Americana/Country-Versatzstück schlechthin, einem Zug-Song. „Intercity 69“ lässt uns spüren, dass etwas noch immer ganz und unpackbar lebendig ist in dieser Musik: die Sehnsucht.
It's the whole world made of old steel/it's the real stuff, it's a lie/Hamburg, you're my true love, but you know that I am Greek/and all stations could not stop us/I'm the teardrop on your cheek
.
Esteban's „Overthrown“
Wie treffend ... der Titel des dritten Esteban’s Studioalbums - Hat sich doch so einiges verändert im Leben des 34jährigen Musikers Christoph Jarmer. Naheliegend, dass der Nährboden seines neuen Werkes „Overthrown“ weitgehend der Bruch mit seinem „Mutterschiff“ GARISH war.
Diese Trennung hat sich in den vergangenen Jahren wohl bereits abgezeichnet. Abgesehen von Differenzen privater Natur ist „Jarmer Junior“ im kreativen Schaffensbereich zunehmend ins Hintertreffen geraten – „I set it on fire, to get inspired“.
Es wäre wohl eine intensive Beziehungstherapie ähnlich der Metallica Dokumentation „Some Kind Of Monster“ nötig gewesen - „Some Kind Of Mediator“ - um diese beinahe 20jährige Verbindung weiter zu erhalten. Offensichtlich waren es dann doch zu viele Scherben, die nicht mehr zu kitten waren.
Der Wandel generell oder die Aufgabe der Neuordnung ist Thema auf Overthrown.
Ob die Kluft zu Garish oder die Erfahrung des Vaterseins ...
Ob die Zähmung der Bestie oder die Pflege der Familie ...
Schon am Stimmungsbild mancher Songs ist deren Inhalt förmlich greifbar.
Die Form des dritten Studioalbums ist zu einem großen Teil sicherlich den vielen unterschiedlichen akustischen Gitarren und ihren unverkennbaren Klängen geschuldet. Sei es die kanadische Errungenschaft auf Slave, die alte spanische Konzertgitarre auf Beast oder der dunkle Ire auf Captured. Die Stützfunktion der Gitarrengemäuer wird durch bedachtsam eingestreute Klaviermomente weiter gefestigt. Das verleiht dem Album in seiner Gesamtheit eine außerordentlich anziehende, stimmige Schwere, der man sich kaum entziehen kann, geschweige denn will. Den geerdet-bodenständigen Gitarrenbauch unterstützt die beruhigend-sonore Stimme Jarmers, die in ihrer hellsten Ausprägung dem Klangbild zusätzlich Akzente von Leichtigkeit injiziert. Wurzeln und Flügel sind ja bekanntlich die wichtigsten Attribute, die man Kindern mitgeben soll.
Genauso unterschiedlich, wie die verwendeten Klangkörper zeigt sich auch die Themenvielfalt, derer sich Overthrown annimmt. Beginnend beim Opener „Beast“, bei dem uns Jarmer auf dem frisch bestellten Esteban’s-Feld willkommen heißt und uns die Hand ausstreckt um mit ihm ein Stück des Weges zu gehen. Hier nimmt uns Jarmer mit Hilfe der sorgsam gezupften Gitarrensaiten jegliche Angst. Vor uns selbst und eben auch von der Bestie, die in allem wohnt. „Beast“ ist hier mehr als nur eine logische Fortsetzung des Cash-Klassikers „The Beast In Me“.
Das sorgsam akzentuierten „Portrait“ erzählt vom manchmal etwas paradox erscheinenden Versuch Kinder erziehen zu wollen. Charakter formt sich bereits früh und schafft es dann sogar ab und zu sämtlichen Bemühungen der Erziehung zu trotzen. Man selbst empfindet sich nur mehr als Zaungast der Entwicklung. Armer beschreibt dieses sowohl mit Resignation als auch Erkenntnis einhergehende Gefühl treffsicher mit: „Live trieb tot Phase her / IT Emsers ad in Shell strenger“.
Auch das Gefühl der Vereinnahmung und die damit einhergehende Erdrückung sind im textlichen Schwerpunktuniversum Esteban’s gute Bekannte, die sich die Hand geben und sich gegenseitig aufhelfen, bevor sie sich den Staub von den Schultern klopfen: „I’m captured in you / How long can I breathe in you / Makes me put up with your moods“ (Captured). Besonders im Hinblick auf die eingangs erwähnten Gefühlspaare lassen sich hier gleich mehrere Deutungsebenen ableiten.
Dem Machtgehalt der eigenen Gewohnheiten und der damit verbundenen, selbstverschuldeten Knechtschaft wird versucht sich auf „Slave“ vorsichtig anzunähern.
Die vermeintlich beklemmende Grundstimmung überschattet hier zunächst, eine der leuchtendsten Hoffnungskerzen im abgedunkelten Zimmer der Neurosen Estebans’s : „The slave of your habit may soon cross your path / Whatever happens I'm on your left / The slave let him come / We’ll stone him to death“. Zusammen ist man halt doch ein bisschen weniger allein.
Auf „Leaving Spaces“ zeigt sich dann sogleich jenes Mitgefühl, das Esteban’s als Grundprinzip versteht. Das von Gastsängerin Julia Poljak komponierte und gesungene Stück, erzählt von der Unabdingbarkeit, manchmal Dinge ruhen und Menschen ziehen lassen zu müssen, um Platz für Neues, Spannendes zu schaffen. Es gliedert sich somit nahtlos in die Themenschwerpunkte von „Overthrown“ ein, das für Jarmer immer auch stellvertretend für das Wagnis und den Wandel steht.
Am Ende steht das greifbar versöhnliche und titelgebende „Overthrown“. Das von den sanften Akkorden und Handclaps getragene Kernstück lässt keinen Zweifel aufkommen, dass der Wind immer die Wolken vertreibt und der Regen nie für immer bleibt. Das Einzige was dann noch übrig bleibt, ist die Sonnenstrahlen zu erwischen oder wie Jarmer meint: „I want to catch some sun rays“.
Insgesamt wäre es bei „Overthrown“ vermessen einen Titel gesondert herauszustreichen. Jeder Song steht hier zwar für sich selbst, wurde jedoch von Jarmer sorgsam in den Kanon eingegliedert um die größtmögliche Stimmigkeit und somit ein harmonisches Gesamtbild zu konstruieren. Wie bei einem Mosaik fügt sich alles aneinander und erzeugt eine fein schattierte Vielfalt, die erst mit etwas Abstand zu den einzelnen Steinchen ihre gesamte Leuchtkraft entfaltet.
Neben all der musikalischen Stimmigkeit und der großen Dichte an Motiven muss „Overthrown“ mit seiner ansteckend entspannten Unaufdringlichkeit, auch als Rückzugs- und Fluchtpunkt verstanden werden. In unserem von Schnelllebigkeit und Hektik geprägtem Alltag nicht bloß eine willkommene Abwechslung, sondern absolute Notwendigkeit.