The More or The Less
CD-Release "Keep Calm"
ARGE konzert
Wenn man mitten in eines der schwersten Erdbeben der Geschichte gerät – kann man dann noch irgendwie von Glück sprechen? Natürlich, sagt Tobias Pötzelsberger. Denn er ist am Leben.
Er wurde im Schlaf überrascht, am 27. Februar 2010 in Santiago de Chile. Erst war da nur ein dumpfes Grollen. Dann setzte das Beben ein und die Wände zerbrachen. „Oh, Santiago“, der Eröffnungssong auf „Keep Calm“, handelt von diesen Minuten in Chile und beginnt ganz ähnlich wie das Beben: Langsam steigert sich ein Geräusch bis zum großen Knall, die Gitarren setzen mit heftigen Schlägen ein und Pötzelsberger bekennt – die Angst ist immer noch da.
So ein Donnern, so viel Rock: Das kannte man bisher nicht von The More Or The Less. Überhaupt ist einiges anders auf „Keep Calm“. War das Debüt „We, the people“ (2009) noch ein inwendiges und zartes Werk, so ist der Nachfolger deutlich lauter, selbstbewusster und vielseitiger. Nach wie vor gibt es feine Akustik-Perlen („Show me where your heart is“, „Odyssey“). Aber da ist auch noch viel Anderes: Mehr Band, mehr Klangfarben, mehr Varianten. Es ist ein Album der großen Gesten und breiten Sounds. Und mittendrin steht weiterhin die ewige Suche nach der weltumspannenden Melodie. „I won't let you down“ ist so ein Beispiel dafür, mit einem Refrain im Cinemascope-Format. Oder „Mr. Undertaker“, in dem Pötzelsberger sein Verhältnis mit dem Totengräber diskutiert und wieder so einen wunderbaren Chorus hinlegt. Und – natürlich – „The Best“, der Abschlusssong. Herrlich, wie sich das Arrangement von banalen Akustikgitarren zu einem furiosen Finale steigert – gemacht aus einem schweren Donnerwetter. Von Elliott Smith über Feist und Ron Sexsmith bis zu den Weakerthans – hier lassen nur die besten Einflüsse aus der Indie- und Folk-Welt grüßen. Zu verdanken sind diese neuen Ansätze auch der Band, die jetzt hinter Tobias Pötzelsberger steht, nämlich Frank Wendtner (Piano), Hannes Gappmaier (Schlagzeug) und Martin Mörth (Bass). Gemeinsam haben die Musiker im heimatlichen Salzburg zuletzt den heiß begehrten „Heimo-Erbse-Förderpreis“ erhalten.
Inhaltlich dreht sich „Keep Calm“ um Grundsätze, elementare Ereignisse und Lebensprioritäten. Manchmal steht Tobias Pötzelsberger im hellen Licht und schwärmt von den Dingen, die einem das Herz erwärmen („When we happen to collide“). Und dann handeln die Songs wieder von dunklen Tagen, unerwarteten Hiobsbotschaften, Scheitern. Herausgerissen werden aus allen Träumen und Vorstellungen von der Zukunft („The Best“, „Long live the Queen“) und wundervolle Eindrücke aus unbeschwerten Tagen – auf „Keep Calm“ treffen sich Gegensätze und Brücken werden geschlagen.
Mal mitten im Sturm, mal ganz ruhig in der Sonne. „Keep Calm“. Bleib ruhig. Weil immer alles passieren kann.